Lesebericht zu „Die Stellung“ von Meg Wolitzer

Die Stellung, Meg Wolitzer, Dumont, Buch- und Medienblog, Oliver SteinhäuserUnendlich viele Stellungen in einem Rat gebenden Buch. Vier minderjährige Kinder, die dieses Buch eines Tages gemeinsam aus dem Bücherregal ihrer Eltern ziehen und es studieren, während ihre Eltern wieder einmal zu einer öffentlichen Diskussion über ihr Buch eingeladen sind. Was sollten Kinder über die Sexualität wissen, wieviel von ihr gesehen haben, sodass es ihnen ein aufgeklärtes Weltbild ermöglicht ohne ihre unschuldigen Gedanken zu ruinieren?

Meg Wolitzers Roman „Die Stellung“ beschreibt eine durch den veröffentlichten Sexratgeber „Pleasuring“ geprägte Familie, deren Leben durch eine öffentliche Aufmerksamkeit geprägt ist. Als die Eltern und Autoren Paul und Roz Mellow eines Abends zu einer weiteren Buchbesprechung aufbrechen, nimmt sich der dreizehnjährige Michael das Buch seiner Eltern aus dem Regal. Was er darin liest und sieht, verändert seine Unschuld für immer, denn die Bilder erregen erste sexuelle Gefühle in ihm. Er kommt nicht umher es seinen drei Geschwistern zu zeigen. Es ist das Gewicht der neuartigen Erfahrung seines Körpers, die er sich nicht allein aufzubürden vermag. Dass er damit sein Schicksal und das seiner Geschwister entscheidend beeinflusst ist dem Jungen nicht bewusst.
Das Buch springt zwischen der Gegenwart, in der die Kinder der Mellows Erwachsen sind und der Zeit des Buchdebüts in den 70er-Jahren. Der Leser erfährt somit die Entwicklung der gesamten Familie.

„Die Stellung“ ist äußerst interessant beschrieben und suggeriert ein einmaliges Leseerlebnis. Allein das Schlagwort Sex regt Fantasien an. Dementsprechend funktioniert der Einsatz auch hier. Der Leser erwartet eine Mischung aus Absurdität, Verwirrung und Eskalation. „Die Stellung“ eröffnet jedoch keines dieser Bereiche konsequent:

  • Claudia, das jüngste Kind der Mellows empfindet ihren Körper unproportioniert und lernt erst spät einen Partner kennen.
  • Dashiell ist homosexuell und schwer erkrankt.
  • Michaels Leben ist aufgrund der Einnahme von Antidepressiva durch Impotenz geprägt. Sexuelle Schwingungen seiner Schwester Holly gegenüber bleiben für den Leser nicht verborgen.
  • Holly, die älteste Tochter der Mellows ist schon früh von zu Hause ausgezogen. Sie war zeitweise drogenabhängig und hat ein gespaltenes Verhältnis zu ihren Eltern und Geschwistern. Sie ist verheiratet und hat einen eigenen Sohn.

Obwohl der rote Faden des Buches Michaels Versuch seinen Vater von einer Neuauflage des Sexratgebers zu überzeugen ist, hat der Leser doch das Gefühl, der Roman liefe ohne einen tieferen Grund vor sich hin. Das liegt hauptsächlich an der hohen Erwartungshaltung, die durch die Vielzahl der möglichen Szenarien einer sexuellen Verwirrung in der frühen Jugend ausgelöst wird. Leider arbeitet Wolitzer keines dieser potentiellen Auswirkungen aus. Die Schicksale der Mellows sind meiner Ansicht nach weniger durch den Ratgeber ausgelöst. Sie sind vielmehr das, was in jeder Familie geschehen kann. Menschen werden krank, homosexuell, distanziert und auch impotent. Dazu braucht es das Geschick einer Buchveröffentlichung nicht. Das ist das Leben.
Der Roman hätte durch die detaillierte Ausarbeitung eines Familienschicksals an Spannung gewinnen können. Da dem Leser die Geschwisterliebe Michaels zu seiner älteren Schwester Holly bekannt ist, hätte sie genug Sprengstoff enthalten, um „Die Stellung“ zu einer einmaligen Geschichte werden zu lassen. Die Veröffentlichung des Sexratgebers der Mellows hätte somit wirklich ernsthafte Auswirkungen auf die sexuelle Bildung von Minderjährigen enthalten.

Meg Wolitzer
Die Stellung
ISBN 978-3-8321-9799-5

4 Gedanken zu „Lesebericht zu „Die Stellung“ von Meg Wolitzer

  1. Vielen Dank für die Einschätzung des Buches. Ich war seit der vergangenen Buchmesse drauf und dran, „Die Stellung“ zu kaufen.
    Schade, dass es keine wirklichen unikaten Geschichten enthält.

    Liebe Grüße

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    • Liebe Marion,
      gut, dass meine Rezension Ihnen helfen konnte.
      Das Buch bietet viel Potential, das meiner Meinung nach leider nicht ausgeschöpft wurde. Die beschriebene Geschichte hätte auch ohne Sexratgeber genau so eintreten können. Es passt auf so viele Familien und ist daher kein echtes Einzelstück…
      Viele Grüße
      Oliver Steinhäuser

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      • Denken Sie nicht, dass es Auswirkungen auf Kinder hat, wenn sie in solch jungen Jahren bereits derartige Erfahrungen machen müssen?

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      • @Hanna82
        Ich denke schon, dass die Konfrontation mit sexgepräten Ereignissen mögliche Auwirkungen auf die Entwicklung von Minderjährigen haben kann. Allerdings sind die Ereignisse in „Die Stellung“ eher gering, da es lediglich um ein Buch mit sexuellen Stellungen geht.
        Was ich zum Ausdruck bringen möchte ist, dass die Entwicklung und somit die Schicksale der beschriebenen Kinder nicht verallgemeinert werden können. Ihre Schicksale wiegen nicht sonderlich schwer gegenüber derer, die alkohol- oder drogenabhängige Eltern haben.

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