Rezension „Über die Erhabenheit toter Katzen und das Umwerben trauriger Mädchen“

ueber die erhabenheit toter katzen und das umwerben trauriger mädchen, buchblog oliver steinhäuserIch fotografiere gerne tote Katzen! Nicht wie ihr jetzt wieder denkt. Die sind schon alle tot. Einfach eingeschlafen oder überfahren. Und ich bin verliebt. Verliebt sein ist etwas wunderbares, wenn es nicht so traurig machen würde! Alles strömt wie wild und unkontrolliert auf mich ein: Glückseligkeit, weil ich gerade mit Claudia auf meines Onkels Dachboden knutsche und fummel. „Die Sache selbst taten wir nicht, aber all die anderen Sachen, und manchmal übertreffen die anderen Sachen die Sache selbst an Intimität und Schönheit. Ich werde den Zaubertrick, den sie an diesem Nachmittag für mich vollführte, nicht erklären.“

Für den 14-jährigen Jan gibt es keine bessere Vorstellung von Liebe, als sich um ein trauriges Mädchen kümmern zu können. Eine melancholische Seele, der er all seine Liebe, seinen Trost und Fürsorge zukommen lassen kann. Der beste Weg eben, um ein Mädchen an sich zu binden und ihre Liebe zu ihm aufkeimen zu lassen und sukzessive zu festigen. Claudia, eine Mitschülerin scheint ihm eine gute Wahl. Lethargisch lässt sie ihren Kopf hängen. Gesenkten Blickes verfolgt das Mädchen den Unterricht, in dem Jan es schließlich schafft, Blickkontakt zu Claudia aufzubauen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Mit klopfendem Herzen beginnt ein schüchternes Annäherungsspiel, aufgebaut auf zögerndem Anschauen, fortschreitendem Anlächeln und dem Vorstoß sich miteinander zu unterhalten und sich der Komfortzone des anderen zu nähern.
Gemeinsam erkunden Claudia und Jan die Welt der Gefühle, probieren sich aus. Dabei lernen sie die alles übermannende Liebe zu einem Menschen kennen, die jedoch ebenso imstande ist, im nächsten Moment zu erschüttern. Für jeden Heranwachsenden ist die Wahrheit der Dinge meist anders und schmerzvoller, als er sie sich in seiner naiven Fantasie ausgemalt hat.

Jan, unser 14-jähriger Protagonist, durchlebt die aufregende Zeit der Pubertät. Sein Körper beginnt Liebe und Sexualität in Verbindung zu bringen. Sein Gewissen ist davon zunächst tief erschüttert. Es beschämt ihn festzustellen, dass seine körperliche Lust sich beim ersten Kuss mit Claudia gegen die textile Grenze seiner Kleidung auflehnt. Die beiden jungen Menschen durchlaufen die Pirouetten zwischen Pubertät und Adoleszenz. Ein Lebensabschnitt inmitten von Neustrukturierungen von Hirnfunktionen und neuronaler Umstrukturierungen kindlicher Welten hin zu emotional-reflektiertem Denken.
Philipp Multhaupt versetzt den Leser zurück in seine eigene Jugend. Er ermöglicht die Erinnerung an das erste Gefühl von Liebe und welchen Zweifel, welche Hoffnung und Glückseligkeit, Traurigkeit und Trübseligkeit jeder von uns erfahren musste. „Über die Erhabenheit toter Katzen und das Umwerben trauriger Mädchen“ schafft, durch seine sinnlich mitreißende Sprache wunderbare Bilder, die den Leser dazu bewegen, eigene Erfahrungen niederzuschreiben. Geschichten der gleichermaßen erlebten Situationen in ähnlichem Kontext: Zurückversetzt ins eigene Baumhaus, den Dachboden, die Scheune, die Bushaltestelle. Eben all die Orte, an denen jungen Menschen sich der Liebe erstmals konfrontiert sehen.
Die Abenteuer der Jugend enden nicht selten mit derben Rückschlägen, weil Eltern das Beste für ihre Kinder wollen. Dass sie dabei auch wichtige Lernprozesse abrupt beenden, ist ihnen oft nicht bewusst.
Es regt sich ein Aufschrei in mir selbst, und ich wünsche, dass ich mich in der Pubertät meiner Kinder noch an die Komplexität neuronaler und persönlichkeitsbildender Momente erinnere.

Doch wie wahrscheinlich ist das Durchbrechen elterlicher Fürsorge? Jugendliche schimpfen nun mal über ihre Eltern und schwören, es bei ihren eigenen Kindern anders zu machen. Und doch befinden wir uns in einer Wiederholungsschleife…

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..