Lesebericht zu „Muttertag“ von Nele Neuhaus

Die LKA Kommissare Pia Sander und Oliver von Bodenstein werden auf das altertümliche Anwesen des Theo Reifenraths gerufen. Bereits seit mehreren Tagen wurde der Briefkasten schon nicht mehr geleert – ein eindeutiges Zeichen dafür, dass mit seinem greisen Bewohner etwas nicht stimmt.
Die Polizisten finden den leblosen Körper Reifenraths in der Küche auf und es scheint, als sei er entweder gestürzt oder an den Folgen eines Schlages gestorben. Kein spektakulärer Fall, wie es scheint. Bis die Beamten bei der Begehung des Grundstückes einen ausgemergelten Hund, eingesperrt in einem Hundezwinger, finden. In seiner Not hat er versucht sich durch einen Tunnel frei zu graben und dabei menschliche Knochen freigelegt. Diese rücken mit einem Schlag in den Vordergrund der Ermittlungen, denn es handelt sich um die Überreste dreier vermisster Frauen.

Der tot aufgefundene Theo Reifenrath betreute zusammen mit seiner Frau Rita Jahrzehnte lang schwer vermittelbare Kinder aus Kinderheimen und bot ihnen ein zu Hause. Dementsprechend groß ist der Kreis der Verdächtigen, die einerseits mit dem Tod des Pflegevaters, als auch mit den bald identifizierten Leichen in Verbindung stehen könnten. Diese sind nämlich vermisste Frauen aus nie aufgeklärten Mordverbrechen.
Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei den drei aufgefundenen Leichen nicht um Einzelfälle handelt, sondern um eine seit etlichen Jahren – mit einer unerklärlichen Unterbrechung – regelmäßig fortsetzten Mordserie.

Parallel zu den Ermittlungen des LKA rund um Frankfurt erzählt ein weiterer Handlungsstrang von einer jungen Schweizerin, die durch den Tod ihrer Mutter erfährt, dass sie adoptiert wurde und gar nicht den geglaubten Wurzeln entspringt. Ihre Suche führt sie auf die Fährte einer Koryphäe der Reproduktionsmedizin. Ihr derzeitiger Arbeitgeber ist eine Kinderwunschklinik in der Umgebung Frankfurts.
Durch einen unglücklichen Zufall kommt die junge Frau dem Täter näher, als ihr lieb ist, und auch dem Täter ist die Konfrontation mit der jungen Frau nicht zupass. Sie ist eine – in seinem Sinne – Unschuldige, die ihm bei seinem weiteren Vorgehen im Wege steht und sie deshalb erst einmal aus dem Verkehr gezogen werden muss.

„Muttertag“ ist getrieben von geschickt gelegten Fährten, die beim LKA immer wieder für den ersehnten Durchbruch sorgen und alle im Team um Pia Sander und Oliver von Bodenstein in helle Aufregung versetzen. Kaum ergibt beispielsweise die Beschattung eines in den Fokus des Verdachts gerückten Akteurs einen offensichtlichen Zusammenhang mit den Morden, erweist sich diese verdächtige Handlung während des polizeilichen Eingriffs als Lappalie und Alltagssituation. Das Team ist seit Tagen beinahe ununterbrochen mit den Ermittlungen zu Gange und befindet sich am Limit der Erschöpfung, als sich der Fall mit einem Mal zu einem persönlichen Drama auswächst.

Nele Neuhaus
Muttertag
ISBN-13 9783550081033

Lesebericht zu „Dunkels Gesetz“ von Sven Heuchert

Dunkels Gesetz_Sven Heuchert_Rezension von Oliver Steinhaeuser_Blog_Buchblog_KrimiAls Richard Dunkel den Auftrag zur Grundstücksbewachung annimmt, ahnt er nichts von den kriminellen Machenschaften des Tankstellenbesitzers Achim und seinen Freunden. Diese erhoffen sich durch den Einstieg in den Drogenhandel ein besseres und sorgenfreies Leben. Auch sie wollen ein Stück des riesigen Kuchens aus dreckigem Geld abbekommen und aus ihrem perspektivenlosen Dasein ausbrechen. Eine Existenz aus schlechter Laune, dem antipathischem Begehren einer Schutzbefohlenen und dem dummen Irrglaube an ein existenzsicheres Leben durch Drogenherstellung und -handel.


Wer sich diesen Kriminalroman zulegt, sollte unbedingt beachten, dass es sich um einen Krimi-Noir handelt!


Dunkel bezieht einen Campingwagen auf dem Gelände der stillgelegten Chemiefabrik. Von hier hat er den besten Blick über das abgesperrte Areal und gibt sich seiner Tätigkeit als Wachmann hin. Wesentlich ausgeprägter gibt er sich jedoch seiner Larmoyanz hin. Ein Grübeln über die alten Zeiten, als er noch Söldner war. Aus dieser Zeit verpasste er den Absprung ins Jetzt, sodass Gegenwart und Vergangenheit wie zwei Gewichte an ihm und seinem Gemüt zerren. Alkohol für seine einsamen Nächte kauft er in Achims Tankstelle. Dem wird er zunehmend ein Dorn im Auge, da Dunkel sich zunehmend für die Geschichte eines Jungen interessiert, dessen Todesumstände nie lückenlos aufgeklärt wurden. Weiterhin gefährdet Dunkels Neugier zunehmend die Drogenherstellung Achims und seiner Freunde.

„Dunkels Gesetz“ ist durch stumpfe und abgehakte Dialoge dominiert. Die dadurch erzeugte Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit der Charaktere ist typisch für einen „Krimi Noir“. Noir ist keine Genrekennzeichnung, sondern präzisiert die Art der Grundstimmung in einem Werk. Wie alle Romane oder Filme dieser Gattung, verträgt auch „Dunkels Gesetz“ keine Hektik, aufregende Verfolgungsjagden oder Schusswechsel. Dadurch ergibt sich für den Leser lediglich eine latente Wahrnehmung von Gewalt und Bedrohung.
Ein toter Junge – Ermittlungen eingestellt; eine saufende Alte – wir kennen sie kaum; Richard Dunkels traumatische Vergangenheit – wir erfahren nichts darüber; Achims neue Freundin – kommt irgendwoher aus der Stadt aber keiner kennt sie. Es ist frustrierend! Wenn man Detailreichtum gewohnt ist, macht das Fehlen von Hintergrundinformationen nervös. Doch das ist das Konzept: Absichtliche Informationslücken und dass das Unklare einfach ungeklärt bleibt.

Sven Heuchert
Dunkels Gesetz
ISBN-13 9783550081781

Lesebericht zu „Die weiße Stadt“ von Karolina Ramqvist

die-weisse-stadt_karolina-ramqvist_buchblog_oliver-steinhaeuserHeute erscheint „Die weiße Stadt“ von Karolina Ramqvist

Was unternimmst du, wenn dein Partner plötzlich nicht mehr für dich da ist, weil seine kriminellen Geschäfte schief gegangen sind? Du sitzt mit eurem gemeinsamen Kleinkind in der hübschen und mit illegalen Geldern erbauten Villa und musst dem Gerede der Ermittler des Dezernates für wirtschaftliche Kriminalität zuhören. Musst dir eingestehen, dass all der sicher geglaubte Besitz von nun an nicht mehr deiner sein soll, dass alles gepfändet wird und wie Sand durch die bröckelnden Fugen deiner Fassade rieselt.

Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Karins Freund nicht mehr da ist, muss sie sich jetzt obendrein alleine um ihre einjährige Tochter kümmern. Verzweifelt haust die Protagonistin zusammen mit ihrem Kind in der Villa. Es ist kalt und dreckig, ihr Antrieb beinahe erloschen. Den jungen Pizza-Fahrer bezahlt sie mit körperlichem Einsatz, um nicht noch das letzte Bargeld aufzubrauchen.
Der Leser erlebt eine am Boden zerstörte Existenz, eine Frau, die aus ihrem geregelten und sorgenfreien Leben herausgerissen wurde. Er sieht sie mit dem Leben hadern und scheinbar planlos handeln. Doch sie hat sich einen Entschluss gefasst: Es muss irgendwo eine Art Anspruch auf Geld geben. Geld aus dem letzten Geschäft, das ihrem Freund John zum Verhängnis wurde. Und das sucht sie in ihrer einstigen gemeinsamen Clique. Von ihrer Freundin Therese erhofft sie sich Beistand und Verständnis. Doch auch sie wird in dem von Männern dominierten Clan unterdrückt, hat nichts zu sagen und lässt Karin hängen. Bis zu dem Tag, als sie plötzlich in ihrer Hofeinfahrt steht und ihrer Freundin und sich selbst aus der Misere helfen möchte. Gemeinsam entwenden sie in einem unbeobachteten Moment das Barvermögen der Männer und verschwinden.

Bereits während des Lesens versucht man einen Zugang zur Intention der Autorin Karolina Ramqvist herzustellen. Das gestaltet sich nicht gerade einfach, denn zwischen dem Versuch aus ihrer Lethargie auszubrechen, muss die Protagonistin Karin den harten Anforderungen einer stillenden Mutter standhalten. Sie ist geprägt von postnatalen Problemen, wie spannenden Brüsten, unkontrolliertem Milchfluss und den optischen Veränderungen ihres Körpers. Immer wieder ruft sie in Momenten besonderer Trauer die Mailbox ihres verschwundenen Freundes an und findet so kurze Momente innerer Ruhe. Eine Ruhe, die jedoch sofort durch die Reflexion ihrer selbst zerstört wird. Konnte Karin nicht schon länger ahnen, dass irgendwann einmal etwas schief geht und ihr Leben zerstört? Wenn sie ehrlich zu sich ist, erkannte sie die dunklen Vorboten der nun eingetretenen Katastrophe, wollte sie nur nicht wahrhaben.
„Die weiße Stadt“ ist ein Roman über das Scheitern einer Frau, die sich zu sehr auf ihren männlichen Partner verlassen hat und den Komfort den dieser ihr gewährte nicht hinterfragte. Nicht selten kann dieser Leichtsinn bei einem Beziehungsbruch zum sozialen Abstieg werden. Es ist wie mit einem Kreis: Er verändert sich, wenn man plötzlich außerhalb seiner Mitte steht.

Karolina Ramqvist
Die weiße Stadt
ISBN-13 9783550081330

Lesebericht zu „Fuchskind“ von Annette Wieners

Fuchskind, Ullstein, Annette Wieners, Buchblog, Oliver SteinhäuserDie Friedhofsgärtnerin Gesine Cordes entdeckt auf ihrem Friedhof ein ausgesetztes Baby. Von der Mutter fehlt jede Spur. Etwa zur gleichen Zeit wurde an der Bushaltestelle des Friedhofs eine junge Frauenleiche abgelegt. Ausgerechnet an dem Platz, an der Jahre zuvor eine junge Frau sich zur Prostitution anbot. Als schließlich der vermisste Friedhofswärter schwer verletzt aufgefunden wird, erwacht Gesines Ermittlertrieb erneut und sie muss hinter das Geheimnis des Findelkindes und der toten Frau kommen.

Als plötzlich ihr Ex-Mann Klaus auf dem Friedhof auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse schneller, als Gesine lieb ist. Denn mit ihm verbindet sie nur noch die Erinnerung an ihren verstorbenen Sohn und das schmerzliche Auseinanderdriften einer bis zu diesem Schicksalstag liebevoll funktionierenden Ehe.
Der Leser erlebt die Protagonistin Gesine Cordes, wie er sie aus dem Vorgängerband „Kaninchenherz“ kennen gelernt hat. An ihr nagen nach wie vor Schuldgefühle und sie scheint in einer kontinuierlichen inneren Zerrissenheit zu schweben. Diese manifestieren sich besonders durch den Drang aus eigener Kraft und Anstrengung an sämtlichen Plätzen des Geschehens mitzuwirken. Dabei stellt Gesine natürlich wieder eigene Ermittlungen an und gerät so selbst sehr nah an die Machenschaften des illegalen Menschenhandels heran. Dieser ist auch das Kernthema des Buches. Annette Wieners konstruiert ihre Story um eine Frau, deren sehnlichster Wunsch die Fürsorge um ein Kind ist. Doch dazu braucht sie eine Freundin, deren sozial-gesellschaftlicher Status – im Gegensatz zu ihrem eigenen – das aus dem Ausland illegal besorgte Waisenkind zulässt. Die Vereinbarung der beiden Frauen hätte beinahe funktioniert, wäre da nicht die Unverfrorenheit und Selbstsüchtigkeit der Dame, die das Kind nach nur wenigen Tagen einfach aussetzt: Gleich einer Produktbestellung soll die „Ware“ einwandfrei und funktionstüchtig sein! Da passt es ihr gar nicht, dass das Baby unter dem Down-Syndrom leidet.

Die Geschichte hinter „Fuchskind“ ist eine wohl bekannte: Kinder aus armen und zerrütteten Verhältnissen werden illegal ins Ausland vermittelt. Zum Glück sollen diese keinen illegalen Handlungen zum Zweck sein, sondern kinderlose Menschen glücklich machen und gleichzeitig ein schützendes Zuhause erhalten. Illegal bleibt es allemal!
Annette Wieners schafft es diesmal nur sequenzweise, den Funken überspringen zu lassen. Obwohl das Buch einige markante und erinnerungsfähige Szenen beim Leser hinterlässt, wirkt der Plot eher schwerfällig und konstruiert. Das liegt auch daran, dass die im Vorgängerband „Kaninchenherz“ liebe- und mühevoll aufgebauten Charaktere diesmal nur latent-emotionale Darsteller sind und uns weniger in ihre Gefühlswelt eindringen lassen, als es in „Kaninchenherz“ der Fall war.

Annette Wieners
Fuchskind
ISBN-13 9783548612515

Lesebericht zu „I am Death – Der Totmacher“ von Chris Carter

Chris Carter, I am Death, Der Totmacher, Ullstein, Blog, Buchblog, Oliver SteinhäuserWie viel Leid erträgst du, ohne selbst zum Monster zu werden? Kannst du gar zu einem Verhalten konditioniert werden, dass du dir selbst in deinen schlimmsten Träumen nicht vorzustellen vermagst? „Weißt du, wie man sich fühlt, wenn man einen Menschen tötet? Mächtig… stark… unvergleichlich. Niemand kann dir je wieder sagen, dass du nichts wert bist, denn in dem Augenblick weißt du, dass du wichtiger bist als Gott.“
Es gibt eine Antwort. Du findest sie hier, denn:
Ich. bin. der. Tod.

Detective Robert Hunter und sein Partner Garcia stoßen in ihrem neuen Fall erneut auf einen besonders perfiden Mörder, der seine Opfer unter unvorstellbaren Qualen leiden lässt und sich an deren langsamen und schmerzvollen Tod labt. Nichts Neues eigentlich für die beiden Detectives der Abteilung für besonders gewaltvolle Morde – des Ultra Voilent Department. Innerhalb weniger Tage werden mehrere geschundene Frauenleichen aufgefunden. Aus Ermittlersicht würden diese Fälle nicht miteinander in Verbindung gebracht werden, da alle Opfer unterschiedliche Todesursachen aufweisen. Doch der Mörder hinterlässt den Ermittlern Botschaften, denn sie sollen wissen, dass sie ein Genie der Verwandlung jagen, dessen Modi Operandi nicht unkontrollierter intrinsischer Natur entstammen, sondern ganz bewusst und gezielt variabel gewählt werden. Denn er hat einen vorgegebenen Plan, dem er strikt folgt. Höchstes dieser Ziele ist es, von Robert Hunter zur Strecke gebracht zu werden. Auch um seinem eigenen, ganz persönlichen Leid ein Ende zu bereiten.
In einem Parallelstrang wird die Geschichte eines entführten Jungen erzählt, der unter den täglichen Erniedrigungen und Misshandlungen seines Peinigers leidet. Besonderes Geschenk des Entführers an ihn sind die grauenhaften Frauenmorde, die er mit ansehen muss.

I am Death - Chris Carter, Buchblog Oliver Steinhäuser

Idylle vs. Alptraum

Die Szenenwechsel zwischen der Gefangenschaft des Jungen und der Ermordung der jungen Frauen sorgen für eine abwechslungsreiche Geschichte. Wie in den Vorgängerbänden sorgen auch in „I am Death – Der Totmacher“ etliche Cliffhanger der meist kurzen Kapitel für einen Spannungsaufbau. Sie fördern den Drang nach mehr. Chris Carter erzeugt durch kurze Charakteristiken der Opfer sowie deren Alltag eine gute Vorstellung davon, dass all die jungen Frauen mitten aus ihren Leben gerissen wurden und sich plötzlich in ihrem schlimmsten Alptraum wiederfinden. Man leidet mit ihnen.
„I am Death“ ist ein Thriller wie man ihn erwartet. Er ist, wie seine Vorgänger sehr blutig, nervenaufreibend und schonungslos. Wer zart besaitet ist, sollte von diesem Titel Abstand nehmen. Für diejenigen, die den Stil des Autors kennen und seine Hunter-Thriller liebgewonnen haben, bietet Carter ein bodenständiges Spektakel, ohne jedoch zur Höchstform aufzulaufen.

Chris Carter
I am Death – Der Totmacher
ISBN-13 9783548287133

Lesebericht zu „Blood on Snow – Das Versteck“ von Jo Nesbø

Jo Nesbø, Das Versteck, Blood on Snow, Ullstein, BuchblogDa ist er wieder und flimmert über die imaginäre schwarz-weiße Mattscheibe. Erneut darf der Leser seinen liebgewonnenen Olav, Ulf oder wie immer er sich selbst gerade nennt, beobachten. Ihm zuschauen wie er sich in seiner Naivität um Kopf und Kragen redet und seiner Umwelt oft schutzlos ausgeliefert ist. Und das obwohl er ein gesuchter Auftragskiller ist.

Wir begleiten unseren Protagonisten auf der Suche nach einem sicheren Versteck. Einem Zufluchtsort, an dem ihn sein letzter Auftragsgeber, der „Fischer“ um keinen Preis finden soll. Da Ulf ihn um eine Menge Geld betrogen hat, droht ihm die Vollstreckung seines eigenen Todesurteils. Im hohen Norden Norwegens hofft er seiner in Oslo ausgesprochenen Hinrichtung entgehen zu können.
Im Zentrum der Handlung steht – wie im Vorgängerband „Blood on Snow – Der Autrag“ – Ulfs kräftezehrende Beziehung zum weiblichen Geschlecht. Denn er verliebt sich in die streng gläubige Lea Sara, die ihn bei der Reinigung der Kirche eben dort schlafend auffindet. In ihrer Naivität steht sie Ulf in nichts nach. Aus diesem Grund gibt sie ihm völlig zweifelsfrei die Flinte ihres Mannes, damit er erste Schießübungen in der Jagdhütte inmitten der Finnmark absolvieren kann. Man benötigt kein sonderlich ausgeprägtes zwischenmenschliches Gespür um zu bemerken, dass die beiden sich annähern werden. Doch die Beschreibung der offensichtlichen Einfältigkeit ist die Kunst der konsequenten Ausarbeitung der Charakterzüge des Protagonisten. Das ist es auch, das dem Leser dieser unfähigen Drogenhändler und Kleinkriminelle so sympathisch werden lässt.

Neben der Liebesgeschichte durchzieht „Das Versteck“ auch den Zwiespalt mit dem Glauben und mit den inneren Geistern, die jeden von uns immer wieder auf die Probe stellen und einschneidende Entscheidungen von uns fordern. Gleichermaßen, wie zu treffende Entscheidungen auf dem Lebensweg eines Menschen, verhält es sich mit der Gläubigkeit. „Die Vernunft wohnt im Kopf, der Glaube im Herzen. Das sind nicht immer gute Nachbarn.“ Denn egal ob wir meinen zu wissen oder denken zu glauben, müssen wir uns doch auf beiden Wegen zu etwas bekennen.
Am Ende des Tages brauchen wir uns um unseren Protagonisten nicht sorgen. Obwohl das Leben ihn immer wieder in Erklärungsnot bringt schiebt sich im letzten Moment das Schicksal ein und liefert ihm eine plausible Geschichte. Wir können sogar etwas von ihm lernen:
Egal wie oft du scheiterst, solltest du nicht liegen bleiben, sondern aufstehen und weitermachen!

Jo Nesbø
Blood on Snow – Das Versteck
ISBN-13 9783550080784

Lesebericht zu „Morgen früh, wenn du willst“ von Tania Carver

Morgen früh, wenn du willst, Tania Carver, Buchblog, Oliver SteinhäuserDu bist auf der Suche nach einem Ort der ultimativen Erfüllung all deiner Fantasien und Perversionen? Einem Winkel der dir Deckung vor jeglicher rechtlichen Verfolgung gibt und dich vor einer gerechten Bestrafung bewahrt. Ich gratuliere dir, denn du hast ihn gefunden. Schnelles Töten, einvernehmliches qualvolles Morden oder das Ausleben sexueller Vorlieben, wenn die Lust von hinten zieht, stehen dir offen. In einem geschützten Rahmen. Einem Club. Dem Club. Wagst du die unwiderrufliche Konfrontation mit deiner Fantasie bis zum bitteren Ende, oder bestehst auch du nur aus Inkonsequenz und ziehst dich durch das Verwenden deines „Safewords“ aus der Schlinge?

Eine puppenhaft gekleidete Frau wartet sehnsüchtig auf ihren Besucher. Ihr Körper ist zum Zerreißen gespannt und die Schmetterlinge in ihrem Bauch tobten nie freudiger und aufgeregter. Der Grund für Amandas Aufregung ist das heutige Ausleben ihrer ultimativen Fantasie: Die Zerstückelung ihrer Genitalien durch ihren Besucher und das gemeinsame Verspeisen eben dieser. Und die Teller sind reichlich gefüllt, denn Amanda ist nur der Deckname eines am eigenen Geschlecht verzweifelten Mannes.
Als Detective Phil Brennan am Tatort eintrifft, offenbart sich ihm nicht nur eine grauenhafte Inszenierung. Er muss auch mit den anfänglichen Schwierigkeiten in der Koordination und Zusammenarbeit seines neuen Teams kämpfen, die sich besonders durch die distanzierten Haltungen seiner Ermittler manifestieren. Denn für sie ist Phil ein fremder Störfaktor von dem sie sich nur ungern weisen lassen. Auch die Hilfe seiner Frau, der erfahrenen Polizei-Psychologin Marina Esposito, kann er in diesen Fall nicht beanspruchen, da sie selbst im Geheimen versucht, die verschwundene Erinnerung an die Weihnachtsfeier ihres neuen Arbeitsgebers aufzudecken. Denn der selbstsüchtige Kollege Hugo Gwilym behauptet mit ihr geschlafen zu haben.
Der manipulierende Professor Gwilym ist ein wichtiger Drehpunkt der Geschichte, da er der Konfliktauslöser zu Marina Esposito ist und gleichzeitig Teil der Ermittlungen Phil Brennans wird. Spannend bleibt bis zum Schluss die Frage nach dem Mörder, der sich selbst Arkadier (Hirte und somit Beschützer seines Volkes) nennt.

Tania Carver beschäftigt sich in „Morgen früh, wenn du willst“ um ein gesellschaftlich heikles Thema: Dem selbstbestimmten Sterben. Nun mag dieses Thema Befürworter und Gegner auf den Plan rufen, da die Selbstbestimmung des eigenen Lebens mit dem Verbot des Tötens Dritter konkurriert. Eines ist jedoch klar: Den Club, den Carver als Plattform lebensmüder und mordslüsternen Menschen beschreibt, ist eines der extremsten Auswüchse solchen Verlangens. Obwohl beide Seiten in gegenseitigem Einverständnis handeln, befeuert ein solches „Geschäftsmodell“ kranke und perverse Extreme.

Tania Carver
Morgen früh, wenn du willst
ISBN-13 9783471351109

Lesebericht zu „Blood on Snow – Der Auftrag“ von Jo Nesbø

Jo Nesbø, Blood on Snow, Der Auftakt, Buch Blog, Oliver SteinhaeuserWas passiert, wenn ein einfältiger aber effektiver Auftragskiller die Frau seiner Träume trifft, die noch dazu sein nächster Mordauftrag ist? Welche Dummheiten mag der naive Olav Johansen, Protagonist, Auftragskiller und Erzähler in der Ich-Perspektive wohl begehen, um seine neu gewonnene Liebe – die Frau seines Aufraggebers – in Sicherheit zu bringen?

Der Auftragsmörder Olav ist nur schwer zu beschreiben. Während er einerseits kaltblütig mordet, ist er gerade bei Frauen sehr milde gestimmt. Seine samariterähnlichen Züge werden ihm beim Mordauftrag seines Chefs Hoffmann zum Verhängnis. Anstatt Corinna, die Ehefrau Hoffmanns, zu ermorden, tötet Olav den Geliebten Corinnas. Er bringt es einfach nicht übers Herz, Frauen etwas anzutun. Allerdings ist Hoffmann alles andere als erfreut über diese unverhoffte Wendung. Denn der ermordete Liebhaber war sein eigener Sohn.
Um des Rachemordes zu entgehen, versteckt Olav sich mit Corinna, und plant Hoffmann zu beseitigen. Während er und Corinna sich an einem sicheren Ort befinden, führt er die Ermordung an seinem Chef Hoffmann aus, und ahnt nicht, dass seine Naivität ihn in eine noch viel größere Falle gelockt hat.

Während des Lesens von „Blood on Snow“ blickt man anfangs unentwegt auf, unterbricht die Geschichte und fragt sich: „Warum bin ich bereits so vertraut mit den Geschehnissen? Und warum ist mir dieser dumme Auftragskiller so sympathisch?“ Zum einen wird dem Leser mit Nesbøs Auftaktthriller ein bekanntes, aber auf den ersten Blick nicht direkt zu identifizierendes Genre präsentiert: Den „Film Noire“, der besonders durch seine pessimistische Weltansicht sowie einem hohen Maß an Zynismus auffällt. Während die sogenannten „Schwarzen Filme“ die amerikanische Filmwelt der 1940er und 1950er Jahre prägten, adaptiert Jo Nesbø das Genre ins Oslo der 1970er Jahre. Eine Stadt, die zu dieser Zeit mit hoher Kriminalität zu kämpfen hatte. Jo Nesbø zeichnet starke Charaktere, die sich hauptsächlich durch ihre Handlungen, und weniger durch eine äußerliche Beschreibung präsentieren.
Nesbø erzeugt eine sehr interessante Balance zwischen Düsterkeit und komischen Entlastungsmomenten. Dieses aufeinander abgestimmte Zusammenspiel, macht selbst einen kalkulierenden Mörder irgendwie sympathisch. Vor allem dann, wenn dieser davon erzählt, wie er an einer vermeintlich Taubstummen immer wieder übt, einer Frau seine Liebe zu gestehen. So wie er auch Schießtraining an torsoähnlichen Gegenständen absolvierte, um sich für den Ernstfall zu rüsten.

„Blood on Snow – Der Auftrag“ ist eine neue Erfahrung und ein interessanter Auftakt, bei dem das Zuordnen eines Genres kaum möglich ist.

Jo Nesbø
„Blood on Snow – Der Autrag“
ISBN-13 9783550080777

Lesebericht zu „Heimweh“ von Marc Raabe

Heimweh, Marc Raabe, Buchblog, Inhaltsangabe, Oliver Steinhäuser„Verschwommen sah er die Gestalt am Rand der Grube auftauchen. Ein riesiges schwarzes Insekt mit einer Schaufel in der Hand. Schon prasselte die erste Schippe Erde auf sein Gesicht, begrub den Himmel und das letzte Stück Hoffnung“.
Immer wieder der selbe Albtraum, und die Fragen nach dessen Herkunft, die dich plagen. Jahrelang. Es muss einen Auslöser dafür geben. Schauergeschichten und Ängste entstehen nicht einfach. Sie werden geschürt!

Marc Raabe erzählt eine außergewöhnliche Geschichte, die mit den Misshandlungen des jungen Jesse und dessen baldige Unterkunft in ein Kinderheim mit integriertem Internat ihren verschwörerischen Anfang nimmt. Der Thriller splittet sich in einen Erzählstrang aus den Jahren 1979 bis 1981 sowie zwei Perspektiven der gegenwärtigen Handlungen. Darin setzt Jesse alle Hebel in Bewegung, um den Mörder seiner Exfrau Sandra und gleichzeitig Entführer seiner Tochter Isa, ausfindig zu machen. Dazu begibt er sich zusammen mit Jule, einer Freundin seiner Exfrau, nach Adlershof, dem Heim seiner Kindheit und Jugend. Ergänzt werden seine Bemühungen durch Einschübe des Entführers, der sich nicht nur Isa, sondern auch den ehemaligen Heimleiter Arthur aufgegriffen hat und beide zusammen gefangen hält.
Raabe führt seine Leser anhand eines klaren roten Fadens durch „Heimweh“. Zum Ende eines Kapitels, lässt er den Leser nahezu stetig mit einer offenen Frage zurück. Antwort darauf findet sich bereits meist im Folgekapitel. Gelungen ist an dieser Stelle vor allem, dass die Fragen nicht einfach durch Antworten abgearbeitet werden, sondern die gegenwärtigen Ungereimtheiten sich durch den Erzählstrang des 32 Jahre zurückliegenden Heimaufenthaltes aufheben.
Während dem Leser verschiedene Verdächtige präsentiert werden, läuft die Gegenwart mit der Vergangenheit doch erst kurz vor dem rasanten Schluss des Buches zusammen, und offenbart dem Leser die schaurige Wahrheit: Der Insektenmann steht Jesse näher, als jeder andere Mensch. Und er hat schon einmal versucht ihn zu töten.

„Heimweh“ steckt voller Überraschungen und deckt dabei viele Facetten eines Heimlebens auf, auf das man mit gemischten Gefühlen blickt. Einerseits gibt es kaum bedrückendere Lebensumstände, als wenn junge Menschen aus ihren Familien gerissen werden und sich an unterster Stelle einer Rangordnung in Heimen stellen müssen. Andererseits wecken die „alten Geschichten“, mit ihren Geheimgängen, den nächtlichen Ausbrüchen aus den Schlafräumen und den Liebesgeschichten, eine starke Sehnsucht: Die Flucht, zurück in die analoge Welt, die das Wesen eines Menschen wesentlich deutlicher prägt – ihm Form und Kanten gibt – als es digitale Welten je vermögen werden.

Marc Raabe
Heimweh
ISBN-13 9783548286907

Lesebericht zu „Kaninchenherz“ von Annette Wieners

Blog, Buch, Medien, Kaninchenherz, Oliver SteinhaeuserZehn Jahre sind seit jenem tragischen Nachmittag vergangen, der ihren Sohn Philipp das Leben kostete. Jener schicksalhafte Tag, der das Leben der erfolgreichen Kommissarin Gesine auf den Kopf stellte und nach dem nichts mehr sein wird, wie früher.
Jahrelang waren die Zwillingsschwestern Mareike und Gesine eine unzertrennliche Einheit, verbrachten einen Großteil ihres Lebens miteinander. Sogar auf Festen der Kriminalpolizei war Gesines Schwester, Mareike, ein gern gesehener Gast. All dies liegt sehr lange zurück.
Durch den offensichtlich von Mareike verschuldeten Tod Philipps, brach jeder Kontakt ab. Auch der zu ihren Eltern, die sich seit jeher weigern, Mareikes schuldhaftes Verhalten, Gesine gegenüber anzuerkennen.

„ Das Bild hatte sich längst in ihr Hirn gebrannt: Die Mädchen sahen eindeutig so aus, wie sie selbst früher ausgesehen hatte. Sie selbst und auch ihre Schwester Mareike.“ Zwei spielende Kinder auf dem Friedhof, auf dem Gesine die Kapelle und das Grab für eine Beerdigung schmücken soll. Das Begräbnis ihrer eigenen Schwester, wie ihr schlagartig bewusst wird. Doch bevor Gesine ihre Flucht nach vorne antreten kann, steckt sie bereits inmitten ihrer eigenen Vergangenheit und kann ihr nicht entfliehen. Warum lässt sich ihre Zwillingsschwester auf dem Friedhof begraben, auf dem auch Gesines Kind begraben liegt, und auf dem sie als Gärtnerin arbeitet? Warum ist Mareike nach Jahren wieder in Deutschland und wird kurz darauf von einem Zug erfasst und getötet? Fragen die Gesines kriminalistischen Instinkt erneut entfachen und sie dazu bringt, eigene Ermittlungen anzustellen, während dieser sie der Wahrheit immer näher kommt. Auch der, um den Gifttod ihres geliebten Sohnes.

Die aktuellen Geschehnisse dominieren das Buch. Ergänzt werden sie durch kurze Rückblenden zu dem Tag, an dem Gesines Sohn Philipp starb. Annette Wieners erzeugt durch ihre knappe und stockende Erzählweise in den Rückblenden, eine authentische Szenenbeschreibung, durch die die Verwirrung, die Ängste und die Verzweiflung einer jungen Mutter sehr gut nachempfunden werden können. Des Weiteren enthält das Buch Auszüge aus Gesines persönlichem Notizbuch, in dem sie seit Philipps Tod, alle giftigen Pflanzen zu ihrer eigenen Enzyklopädie zusammenstellt. Auch diese Auszüge dienen der glaubwürdigen Trauerbewältigung und untermauern das Trauma, das beim Verlust des eigenen Kindes oft ein ganzes Leben lang Auswirkungen auf das Verhalten und Wirken der hinterbliebenen Eltern hat.

Während man noch über den Titel des Buches grübelt, versinkt man zunehmend in die durch Trauer mühevoll aufgebaute Welt der Gesine Cordes und erfährt, wozu Überforderung mit kleinen Kindern, in Kombination mit missverständlichen Absprachen, führen können. Und wie eine ganze Familie an einer jahrelangen Lüge zerbricht, anstatt sich der Wahrheit zu bedienen und sich seinen Fehlern zu stellen. Insgeheim hofft man, dass durch das Lüften des Geheimnisses, Gesines Leben nicht erneut aus den Fugen gerät.

Annette Wieners
Kaninchenherz
ISBN-13 9783548612584