Lesebericht zu „Transition – Das Programm“ von Luke Kennard

Transition_Luke Kennard_Rezension_Oliver Steinhäuser_Blog_BuchblogDu bist Mitte dreißig, hast Schulden und arbeitest mehr oder weniger freiberuflich als Texter. Den Bedürfnissen deiner geliebten aber psychisch labilen Freundin möchtest du jedoch trotzdem irgendwie gerecht werden.
Durch den Aufbau einer Kreditkarten-Blase wahrt Karl den Schein eines einigermaßen soliden Lebens. Mit dem Zerplatzen dieser Traumwelt ist der Beitritt bei Transition der letzte Ausweg vor einer Gefängnisstrafe. Eine Organisation, die verspricht, sich um ihre sogenannten Protegés zu kümmern und sie durch gute Ausbildungen wieder zu rechtschaffenden Mitgliedern der Gesellschaft zu formen.

Der verschuldete Karl und seine Frau Genevieve werden bei ihren Mentoren empfangen. Die einzige Einschränkung scheint auf den ersten Blick das Einbehalten ihrer Gehälter zu sein. Damit sollen Schulden abgetragen und zukunftsfähiges Kapital aufgebaut werden. Das ergibt für Karl zunächst auch Sinn und ist allemal besser, als seine Schulden in einer Gefängniszelle abzusitzen. Doch während Karls Skepsis ihn dazu leitet zu hinterfragen, was der Sinn dieses „wohltätigen“ Programms ist, blüht seine Frau Genevieve geradezu auf und wandelt ihren alten Trott durch neuen Aufgaben und Tätigkeiten bei Transition. Geblendet vom Schein entgeht ihr, was Transition mit der Chance für Straftäter wirklich erreicht. Sie nehmen nämlich ausschließlich auserwählte Paare auf. Es geht weniger um die Chance des Rechtsbrechers auf Besserung, sondern um die Aufnahme ihrer loyalen Partner. Denn wer sich einem extrovertierten Partner jahrelang unterordnete, der bringt auch Transition gegenüber seine volle Geduld und Regelkonformität entgegen. Der gute Zweck ist demnach nur Schein und dient zur Rekrutierung beeinflussbarer und kontrollierbarer Persönlichkeiten.


„Transition“ knüpft nicht an „Der Circle“ von Dave Eggers an. Weder thematisch noch stilistisch. Wer das Buch mit dieser Erwartungshaltung kauft, wird meiner Einschätzung nach enttäuscht.


Da Luke Kennards Schreibstil mich von Beginn an nicht fesseln konnte, haderte ich sehr lange mit dieser Rezension. Ich fand keinen Zugang ins Buch hinein, verlor zwischendrin mehrfach die Lust und habe erst zum Ende hin eine persönliche Freude entdeckt.
Sie gilt der Idee, wie Transition ihre „Schützlinge“ aufnimmt und sie in A und B Klassen drängt. Dabei nutzen sie Naivität aus und suggerieren, dass sie ein Programm seien, bei dem jeder Teilnehmer gewinnt. Auf der Suche nach genau diesen gutgläubigen Menschen ist das Programm Transition. Doch selbst wer nur über rudimentäre Wirtschaftskenntnisse verfügt, weiß, dass das Anheben des eigenen Gewinns ab einer gewissen Grenze nur noch über das Herabsetzen der Margen dritter Wirtschaftsteilnehmer funktioniert. Im Fall von Transition erfolgt dies einerseits über die Beschäftigung der B-Protegés am Existenzminimum. Es erfolgt jedoch auch über das indirekte Herabsetzen des Selbstwerts der A-Teilnehmer. Sie werden augenscheinlich zwar emotional aufgebaut und man trägt Sorge, dass sie sich selbst als essentiell und wertvoll wahrnehmen. Rücklings sorgt ihre Loyalität aber auch dafür, dass sie Transition ihre Ideen mitteilen und das Programm an den daraus generierten Einkünften beteiligen. Genau so gehen Selbstwertaufbau und -verlust Hand in Hand.

Luke Kennard
Transition
ISBN: 978-3-426-28167-3

Lesebericht zu „Des Teufels Gebetbuch“ von Markus Heitz

Des Teufels Gebetbuch_Markus Heitz_Blog_Oliver Steinhaeuser_RezensionIn illegalen Spielpartien zocken reiche Kartenbegeisterte um historische Karten. Ihr Einsatz ist eine Menge Geld und jeweils eine historische Spielkarte. Gespielt wird „Supérieur“, bei dem die Spieler nacheinander Karten aufnehmen. Die höchste Karte gewinnt, alle anderen verlieren ihren Einsatz pro Runde. Wer die „Pik-Ass“ zieht hat automatisch alles verloren. Auch sein Leben. So sehen es die historischen Spielregeln vor, denn der Verlierer seines gesamten weltlichen Besitzes findet seine Ruhe besser im Tod als im Leben.
Hyun, die die Nachricht über den Unfalltod ihres zockenden Verlobten nicht recht glauben möchte, will die Organisatoren des illegal arrangierten Spiels zur Rechenschaft ziehen und löst bei der nächsten Partie in Baden-Baden eine Lawine ungeahnten Ausmaßes aus, die mit dem Tod eines russischen Oligarchensohnes zudem noch einmal mehr an Rasanz gewinnt.

Des Teufels Gebetbuch ist eine gelungene Kombination aus dem historischen Entstehungsprozess der Spielkarten und der Wirkung von Kartenspielen in unserer Gesellschaft. Die Verwunderung über die Macht des historischen Kartendecks fesselt den Leser so stark an das Buch, dass die im Anhang mitgereichten Informationen über die Entstehung von Kartenspielen und deren Weg nach und in Europa mit Euphorie weiterstudiert werden.
Die Verwendung historisch nachweisbarer Fakten und echt existierender Charaktere in der Geschichte zum Teufels Gebetbuch erzeugt eine solche Authentizität, sodass der Leser keinen Zweifel an der Story hat – obwohl er natürlich weiß, dass es um einen Roman mit fiktiven Elementen handelt.

Richtig interessant wird die Thematik, sobald der Leser das Geschriebene reflektiert. Das historische Kartenspiel des Romans wurde im Auftrag des Teufels im Heiligen Römischen Reich um 1768 in Leipzig mit einem Kupferstich gedruckt. Man kann sich nun die Frage der Existenz des Teufels stellen. Dann muss man jedoch gleichzeitig über die Existenz Gottes grübeln. Sind das nun fantastische Elemente? Beim Teufel und Gott eher nicht. Wie dem auch sei: Ist es nicht das Spielen an sich, dass in uns Menschen das teuflische in Form von Habgier, Missgunst und Sucht auslöst? Ebenso wie das Göttliche nicht körperlich existiert, sondern durch unser Handeln als Mensch erst zu Vorschein kommt.


Achtung! Dieses Buch fesselt den Leser an sich. Ein Entkommen der eigenen Gedanken aus dem Buch ist auch nach Beenden der Lektüre kaum möglich!


Markus Heitz liefert in den beiden Erzählsträngen einerseits eine sagenhaft düstere Aura, durch die der Leser ins alte Leipzig des Heiligen Römischen Reichs entführt wird. Zurück in die Zeit, zu der der Kupferstecher Bastian Kirchner im Verlagshaus Breitkopf tätig ist und das Kartendeck herstellt. Im zweiten Erzählstrang befindet sich der Leser in der rasanten Gegenwart, die von der Jagd nach eben diesen historischen Karten – des Teufels Gebetbuch – dominiert wird. Dass einige Protagonisten, Tadeus Boch allen voran, über unglaubliche Fähigkeiten verfügen – er spricht und versteht beinahe jede Sprache – ist kaum zu begreifen und strapaziert die Glaubwürdigkeit. Aber es schadet dem Buch nicht. Die Geschichte selbst ist so unglaublich, dass dem Leser diese Makel zwar nicht entgehen, sie ihn aber nicht davon abhalten, mehr über des Teufels Gebetbuch erfahren zu wollen. Und sich zusammen mit Hyun und Tadeus in den entlegensten Winkeln Italiens, Frankreichs, Belgiens, Russlands und Westafrikas rumtreiben, um alle Karten des Decks zusammenzubekommen. Nachdem auch Tadeus der Aura einer Karte anheimgefallen ist und er ihre negative und böse Ausstrahlung auf sein Denken und Handeln bemerkt, ist es der beiden Ziel, die unzerstörbaren Karten wenigstens so zu verbergen, dass kein Mensch mehr sie erreichen soll.

Markus Heitz
Des Teufels Gebetbuch
ISBN: 978-3-426-65419-4

Lesebericht zu „Die Mutter des Satans“ von Claudia & Nadja Beinert

Stolz erfüllt Eltern, deren Kinder Erkenntnisse für die Menschheit liefern und der Gesellschaft ein nachvollziehbares und realitätsnahes Leben ermöglichen. Ein Leben und Denken abseits absurder Repressalien. So ist es auch bei Margarethe Luder, deren Sohn Martin im frühen 16. Jahrhundert die Lehre der katholischen Kirche in Frage stellt. Während der Vater Hans sich von Martin abwendet und ihn verstößt, liebt seine Mutter ihn weiterhin. Obwohl auch sie Zweifel und Unheil vor seinen reformatorischen Thesen für sich, ihre Familie und das gesamte Volk befürchtet.

Die Geschwister Beinert durchleuchten in „Die Mutter des Satans“ das Leben der Margarethe Luder. Eine Frau deren Aufgabe das Gebären, Zusammenhalten und Umsorgen der Familie ist – eine übliche Aufgabe für Frauen des 15. und 16. Jahrhunderts. Ihr Mann Hans ernährt mit dem Verdienst aus der Erzschmelze die Familie. Mit seinen gepachteten Schmelzhütten verdient er dabei anfangs kein schlechtes Geld und beschäftigt mehrere Hauer, die ihm das Gestein zum Ausschmelzen von Kupfer und Silber aus dem Berg treiben. Die Luders sind in Mannsfeld eine gut und gern gesehene Familie. Bis Sohn Martin sein Jurastudium abbricht und sich für ein Leben als Mönch entscheidet. Er spaltet die Familie zutiefst. Während seine Mutter mit Unbehagen und Fassungslosigkeit reagiert, spricht ihm der Vater die Familienzugehörigkeit ab. Niemals werde ein Kuttenträger der Familie Luder zugehören! Harte Worte, die den jungen Mann nicht davon abbringen können. Denn er handelt allein nach seinem Gewissen und Überzeugung. Mit dem Thesenanschlag in Wittenberg 1517 beginnt eine turbulente Zeit. Für Martin, der sich nach Eleutherius – die latinisierte Form des spätgriechischen Namen Ελευθέριος („Befreier“) – fortan Luther schreibt. Aber auch für seine Familie, da sie die Wut der strengen katholischen Kirche und unterwürfigen Bürgern auf die reformatorischen Gedanken und Äußerungen Martins zu spüren bekommt.

Der Roman eignet sich für zwei Zielgruppen:
Erstere ist, wer detaillierte Kenntnis zum Leben der Margarethe Luder erfahren möchte. Die Geschwister Beinert haben mit viel Liebe zum Detail einen ausführlichen Roman um die geschichtlichen Fakten geschrieben und das Wirken von Martin Luthers Mutter plastisch zum Leben erweckt.
Die zweite Zielgruppe stellen Informationssuchende, die die Entwicklung Martin Luthers sowie seiner Familie aus einem spannend erzählten Kontext erleben möchten. Wer jeweils ein bis zwei Sätze am Absatzbeginn und -ende der zahlreichen Absätze liest, erfährt all diese geschichtlich prägenden Ereignisse und kann dem Leben der Luders zusehen.

Erzählt wird die Geschichte aus den Erinnerungen von Margarethe Luder, die ihr Leben während des Portraitierens bei Lucas Cranach Revue passieren lässt. Deren Sohn Martin zu Beginn lediglich für die Abschaffung von Missbräuchen eingetreten war, der sich zum Reformator der Kirche entwickelt hat und Reliquien, Ablässen sowie Heiligenverehrung bedeutungslos machte. Obwohl Martin Luther seinerzeit die gesamte Kirche gegen sich aufbrachte, ist es nicht Rebellion, sondern die Suche nach Gottes Gnaden, die ihn bewegt und antreibt. Für ihn steht fest, dass ein Christ kein gutes Werk zu tun braucht, um fromm zu sein. „Es ist genau umgekehrt. Kaum dass er [der gute Christ] meint, sich Frömmlichkeit erst verdienen zu müssen, verliert er seinen Glauben. Es ist wie mit einem Hund, der ein Stück Fleisch im Maul trägt, nach seinem Spiegelbild im Wasser schnappt und genau deshalb Fleisch und Spiegelbild verliert.“ (S. 336).

Zu Beginn des Buches erlebt der Leser Martins Vater Hans als einen Menschen, der seinem Sohn Misstrauen gegenüber Dritten lehrt, damit er sich nicht übers Ohr hauen lässt. Dass Martin letzten Endes genau das mit seiner Reformation tut, entgeht dem tobenden Vater völlig. Er ist im Gegensatz zu seinem Sohn nicht an Wahrhaftigkeit, sondern nur an seiner Reputation interessiert. Martin interpretiert seines Vaters Lehre zu gesundem Misstrauen auf seine eigene Art. Für ihn zählt mehr, als nur Dinge die auf das Diesseits gerichtet sind. Gottes Gnade und das Verhindern der ewigen Verdammnis hebt er über Besitz und weltlichen Ruhm. Er handelt am Ende misstrauisch wie vom Vater gewollt und doch anders als es Hans jemals in den Sinn gekommen wäre.

Die Mutter des Satans
Claudia & Nadja Beinert
ISBN: 978-3-426-65383-8

Rezension zu „Das Paket“ von Sebastian Fitzek

Morgen ist Heilig Abend. Achtet sehr genau darauf, wer euch ein Paket übergibt! Traut ihr euch sie alle zu öffnen?

das-paket, sebastian fitzek, buch, buchblog, blog, oliver steinhaeuser, medienblogWelchen Qualen stehst du gegenüber, wenn du als Therapeutin für Verhaltensauffälligkeiten und Wahrnehmungsstörungen plötzlich selbst zum Patient wirst? Schaffst du es deine Gedanken zu rationalisieren, weil du weißt, dass all das Geschehene nur in deiner Fantasie ablief? Oder kannst du trotz deines Fachwissen nicht mehr zwischen Realität und Imagination unterscheiden? Begib dich auf die Reise auf dem schmalen Grat der Wirklichkeit und des Wahns!

Nach dem Psychologenkongress und der Schreckensnacht im Hotel ist nichts mehr wie zuvor. Seitdem Emma Stein in ihrem Zimmer vergewaltigt und geschoren wurde, verbringt sie ihre Tage beinahe vollkommen isoliert zuhause. Ihr Nervenkostüm ist ein Wrack und sie sieht in jeder Situation und in jedem Geräusch eine potentielle Gefahr. Immer wieder führen Alltagssituationen zur Überreaktion und dem Verlust der Rationalität, in denen Emma Stein die Kontrolle über ihre Sinne verliert und ihre Wahnvorstellungen eskalieren.
Für Emma steht fest: sie ist Opfer Nr. 3 des „Friseurs“. Ein Serientäter, der Frauen die Haar schert und sie leidvoll tötet. Doch sie lebt. Was an ihr hat den Täter dazu veranlasst ihr nur Qualen zuzufügen, jedoch nicht nach dem Leben zu trachten?
Eine Frage, die auch ihren Mann, Fallanalytiker beim BKA, beschäftigt und auf die er und seine Kollegen keine Antwort finden. Da keine Beweise zum Stützen ihrer Geschichte vorliegen und Emma durch ihre Widersprüche zusätzliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit erzeugt, fällt es – selbst dem Leser – immer schwerer, ihr Glauben zu schenken. Ihr einziger geduldiger Zuhörer ist ihr langjähriger Freund und Anwalt Konrad.
Um ein vertrauensvolles Gespräch mit ihm kommt Emma bald nicht mehr herum. Denn nachdem sie in einer ihrer Wahnvorstellungen ihren Nachbarn tötet und im Anschluss auch ihren eigenen Ehemann in einem Tobsuchtsanfall umbringt, scheint dieses Gespräch die letzte Möglichkeit zur Behandlung Emmas psychischer Schäden zu sein.
Doch welche Wahrheit dieses zu Tage fördert lässt uns erschrocken und erstaunt zurück. Denn nichts ist, wie es scheint. Realität und Fiktion werden zu Komponenten, deren Gegensätzlichkeit einander anzuziehen vermag.

Sebastian Fitzek schafft mit „Das Paket“ eine Umgebung deren Surrealität sich aus den Seiten des Buches auf die Auffassungsgabe des Lesers ausweitet und ihn immer wieder an seinen eigenen Rückschlüssen zweifeln lässt. „Das Paket“ ist auch eine Grenzerfahrung an die eigene Glaubwürdigkeit und zeigt, welche erschreckende Eigendynamik auf dem Weg der Entwicklung zur Unglaubwürdigkeit eines Menschen entstehen kann.

Lesebericht zu „Albertos verlorener Geburtstag“ von Diana Rosie

Albertos verlorener Geburtstag, Buchblog, Oliver Steinhäuser, MedienblogManchmal gibt es ein ganz besonders starkes Band zwischen einem Großvater und seinem Enkel. Doch nur selten führt es dazu, dass beide eine Reise in die Vergangenheit unternehmen. Eine Expedition zum Ursprung des Großvaters Alberto Romero. Umso schöner, wenn das Duo dabei auch findet, wonach der siebenjährige Tino sich so arg sehnt: Albertos verlorenen Geburtstag.

Auf ihrer Reise in das Landesinnere Spaniens erleben die beiden Abenteurer glückliche Erfolge und drastische Rückschläge. Da Albertos Kindheit im Waisenheim bereits viele Jahre her ist, begeben er und Tino sich auf eine Suche, deren Erfolg ungewiss ist. Das Aufspüren von damaligen Weggefährten gestaltet sich knifflig. Albertos Amnesie seiner frühen Kindheitstage würzt die Suche mit einer zusätzlichen Prise Spannung.
Das Buch zeichnet sich durch seinen besonderen Aufbau aus. Die Suche des Großvaters und seines Enkels ist die gegenwärtige Geschichte. In eingeschobenen Kapiteln erfährt der Leser Teilstücke aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs. Diese Einschübe beschreiben in umgekehrter Reihenfolge die Zeit von 1931 bis 1937, in der Alberto geboren und seine ersten Lebensjahre beschreitet. Durch die Umkehrung der Zeit erfährt der Leser sukzessive wie es zu dem tragischen Tag kam, als der junge Alberto von einem Ausflug mit seinem Vater nicht mehr zurückkehrte und in einem Waisenheim untergebracht wurde. All diejenigen, die an dem Verlauf der Geschichte mitgewirkt haben, schildern die Geschehnisse aus ihrer persönlichen Sicht. Durch die Erzählung aus den Ich-Perspektiven finden die erlebten Gefühle aller Beteiligten auf unmittelbarem Weg Einzug in das Empfinden des Lesers.
Neben der Geschichte zu „Albertos verlorenem Geburtstag“ erzählt das Buch auch einiges zum spanischen Bürgerkrieg. Die ausgewogene Mischung aus historischem Hintergrund und der einzigartigen Suche nach der Vergangenheit machen dieses Buch zu einem wunderbaren, spannenden, herzzerreißenden und einzigartigen Lesevergnügen, das mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Und es lehrt uns, dass Gott uns manchmal Prüfungen auferlegt und viel von uns fordert. Doch wer eine positive Grundhaltung widriger Umstände gegenüber besitzt, der wird seinen Mitmenschen gegenüber stets im Vorteil sein.


Der Buch- und Medienblog verbindet mit dieser Geschichte unzählige ähnliche Geschehnisse. Zum 80. Geburtstag seines Großvaters reiste auch er in die Vergangenheit und erfuhr während einer 5-tägigen Reise was es bedeutete im Krieg Dinge zu verlieren, sie nach Jahren wiederzuentdecken, verblasste Erinnerungen erneut zu erleben und sie mit seiner Enkelgeneration zu teilen.


Diana Rosie
Albertos verlorener Geburtstag
ISBN: 978-3-426-65393-7

 

Lesebericht zu „Etta und Otto und Russell und James“ von Emma Hooper

Emma Hooper, Buchblog, Oliver SteinhaeuserMit dem heute publizierten Buch „Etta und Otto und Russell und James“ erscheint ein emotionsgeladener Roman, dessen Thema das Vergessen ist. Feinfühlig beschreibt Emma Hooper die kriegsgeprägten Erinnerungen alter Freundschaften. Sie schafft eine Ausgewogenheit zwischen Traumatischem, Romantischem und Dramatischem, die es dem Leser ermöglicht, sich auf die Geschichte einzulassen. Ein Gleichgewicht, das ihn in temporäre Trauer, episodische Romantik und in sequenziellen Übermut versetzt. Und dabei kontinuierlich die Lebenserinnerungen dreier Protagonisten erzählt, die sich in einem Stadium aus Vergessen und Erinnern befinden. Gerade der Spagat zwischen Tragik und Wonne, sowie die Leichtigkeit Hoopers Worte, machen „Etta und Otto und Russell und James“ zu einem unvergesslichen Erlebnis einer noch existierenden Generation.

Die Handlung baut auf zwei Perspektiven auf. Vordergründig handelt das Buch von der Reise der 83-jährigen Etta, die in ihrem Leben wenigstens einmal das Meer gesehen haben möchte. Ergänzt wird ihre Reise mit der Lebensgeschichte Ettas, ihres Ehemannes Otto, und Russell, dem engsten Freund der beiden.
Ihr Mann Otto lässt sie ziehen – trotz aller Sorge. Er ist vor vielen Jahren selbst zu einer großen Reise aufgebrochen, um in einem fernen Land zu kämpfen. Ihr gemeinsamer Freund Russell hingegen will Etta zurückholen und verlässt zum ersten Mal in seinem Leben die heimische Farm. Auf ihrer Wanderung trifft Etta den Kojoten James, der sie durch das staubtrockene Land begleitet. Je näher Etta der Küste kommt, desto lebendiger werden die Erinnerungen der drei alten Freunde – Erinnerungen an die gemeinsame Jugend, an Zeiten des Krieges, an Hoffnungen und versteckte Gefühle, aber auch an Erfahrungen, die sie nicht miteinander geteilt haben.

Bereits zu Beginn des Buches fällt auf, dass auf die Anführungszeichen der wörtlichen Rede gänzlich verzichtet wird. Was zunächst für Verwirrung beim Lesen sorgt, ist ein Stilmittel, das nicht geschickter hätte gewählt werden können. Es erzeugt einen nahtlosen Übergang zwischen Gesprochenem und Gedachtem, betont den Fließtextcharakter und mindert Unterbrechungen im Erzählfluss. Ein typografisch-stilistischer Kniff, der den Inhalt der Geschichte – das Verschwimmen, Vergessen und Wiederfinden von Erinnerungen – konsequent nach außen transportiert.
„Etta und Otto und Russell und James“ lehrt uns diverse Erkenntnisse einer Kriegsgeneration, deren Werte sich bis heute nicht verändert haben, jedoch leider oft in Vergessenheit geraten sind. Der Roman hält uns vor Augen, was räumliche Distanz, für sich liebende Menschen, vor rund 65 Jahren bedeutete. Dass es ein wesentlich intensiveres Festhalten und Daran-Glauben bedeutete, als dass es in unserer durch Medien durchfluteten Generation der Fall ist.
Emma Hopper schreibt einen Roman, in dem es nicht immer geordnet zugeht. Die Gestaltung mancher Kapitel ist so gewählt, dass auf eine real existierende Handlung eine Illusion folgt, dass Ettas Gedanken plötzlich in die Ottos münden. Eine Verwirrung, die die Hilflosigkeit des Vergessens und der Einbildung widerspielgelt. Eine Verwirrung, die Zeit zur Entfachung eigener Gedanken schürt.

Und während James sich auf die Suche nach Etta macht, finden Otto und sie wieder zueinander. Vereint. Im Tod.

Emma Hooper
Etta und Otto und Russell und James
ISBN: 978-3-426-28108-6

Lesebericht zu „Dope“ von Sara Gran

Sara Gran, Dope, Drogen, Buchblog Oliver SteinhäuserPausenlos ergibt sich die Diskussion zum Thema Chancengleichheit und Fairness. Doch bereits die Umsetzung sozialer und integrativer Konzepte bedeuten oft unüberwindbare Schranken und Hemmschwellen für jeden einzelnen von uns. „Dope“ schildert, was ein Leben als Junkie im New York der 1950er Jahre bedeutet, welchen Sümpfen labile Menschen, die Zuflucht im Drogenrausch suchen, ausgesetzt sind. Und was gilt, wenn der Ausstieg aus der Misere geschafft ist.

Die aus zerrütteten Verhältnissen stammende Josephine Flannigan kämpft mit einer Vergangenheit aus Drogensucht, falschen Freunden und einem Leben der Überforderung. Schon viel zu früh musste sie die Verantwortung für ihre Schwester übernehmen und alleine im New York der 1940er Jahre zurecht finden. Ihr erster Ehemann bringt sie, bereits im Alter von 17 Jahren, den Drogen nahe und zieht sie in einen Abgrund aus Abhängigkeiten, aus dem sie sich nach etlichen Jahren mit aller Kraft wieder befreit. Überraschend erhält Josephine den Auftrag, nach einem Mädchen zu suchen, die sich seit einiger Zeit in denselben Kreisen befindet, mit deren Gepflogenheiten Josephine selbst noch sehr vertraut ist. Sie begibt sich erneut in eine gefährliche Welt.

Auch wenn die Spannung in „Dope“ fehlt und der Leser gerade zu durch das Buch treibt, macht Sara Gran in ihrem Roman deutlich, welche Gefahren von missbräuchlichem Drogenkonsum ausgehen. Auch wenn wir im 21. Jahrhundert eine Vielzahl an Institutionen, wie beispielsweise Druckräume, errichtet haben, um Abhängigen einen besseren Lebensstandard zu bieten, ist das Kernproblem nach wie vor das Gleiche: Die Droge.
Drogenabhängige Menschen sind auf ihre Art Künstler und Experte: „Ein Anwalt, der die Drogengesetze […] im Wortlaut kannte; ein Psychologe, der wusste, wie man einen Dealer dazu überredet, Kredit zu gewähren.“ Es ist der Verlust, Situationen korrekt beurteilen zu können, die mit dem Start in eine Drogenkarriere einhergehen, der ein Leben in einer Parallelwelt früher oder später gefährlich werden lassen. Die Tatsache, dass Josephine einer außergewöhnlich durchdachten Intrige aufsitzt, verdeutlicht, dass Auffassungsgabe und Urteilsvermögen selbst als Ex-Konsument oft unwiderruflich geschädigt sind. Dass Josephines letztes Abenteuer von einer ihr nahestehenden Person geplant wurde zeigt darüber hinaus, dass selbst vermeintliche „Freunde“ und „Familie“ im Drogenmilieu kein Garant für Verlass und Vertrauen sind.

Sara Gran
Dope
ISBN: 978-3-426-30445-7