Lesebericht zu „Das Geheimnis der Grays“ von Anne Meredith

Das Geheimnis der Grays_Anne Meredith_Rezensiert von Oliver Steinhäuser_Buch_Blog_LiteraturNicht mehr lange, dann steht Weihnachten wieder vor der Tür. Es gestaltet sich nicht immer einfach, allen familiären Verpflichtungen mit der nötigen Gelassenheit entgegenzutreten.
Allen bleibt zu hoffen, dass uns kein ebenso tragisches Ende, wie den Grays widerfährt, deren Vater am Weihnachtsmorgen tot aufgefunden wird. Erschlagen von einem seiner eigenen Kinder.Unverhofft trifft am Weihnachtsmorgen die Todesnachricht seine Kinder wie ein Schlag ins Gesicht. Sind alle doch gestern extra angereist, um dem Alten etwas Geld aus den Rippen zu leiern. Missgünstig beäugen sich die sechs Geschwister, suchen unter ihresgleichen nach dem Täter. Nach dem, der den Vater getötet und damit die Hoffnung auf finanzielle Erlösung ausgelöscht hat.

Nur eines der Kinder, Hildebrand, kennt den genauen Tathergang, war er es doch, der den Briefbeschwerer dem Vater im Zorn gegen die Schläfe geschlagen und Beweise manipuliert hat. Auch er sucht einen Schuldigen, der ihn vor der Enttarnung und dem Gang zum Galgen bewahrt.

Damit sich der Leser ein Bild von der Familie machen kann, werden alle Familienmitglieder und das Familienoberhaupt Adrian Gray im ersten Kapitel nacheinander vorgestellt. Diese Protagonistenliste erinnert an einen Vorabdruck für ein Theaterstück und ist den Lesern später dienlich. In dieser ersten Personenübersicht erfahren wir, welches Motiv die Kinder Adrian Grays antreibt, auch in diesem Jahr wieder der Einladung des Vaters zu folgen. Wohl ist es dabei keinem der Abkömmlinge. Denn alle benötigen wieder einmal eine Finanzspritze. Diese Hoffnung ist gleichzeitig alleiniger Grund, dem Vater und seinen eigenen Geschwistern zu begegnen.
In seinem Schwager Eustace findet der schuldige Hildebrand den perfekten Sündenbock. Jeder weiß um seine windigen Geschäfte, in dem auch der Vater seine Aktien hält. Dank seines Talents für das Nachahmen von Hand- und Unterschriften, gelingt ihm ein glaubhaft ausgefüllter Scheck des Vaters an Eustace. Den Scheck verbrennt er, den Kontrollabriss aber belässt er im Scheckheft. Dass sein Schwager mit alldem nichts zu tun hat und alles abstreiten wird, stört Hildebrand nicht weiter. Denn er wiederum weiß, dass seine Geschwister zwar auch ihn verdächtigen, er mit seinem gefälschten Beweis jedoch den größten Groll auf seinen Schwager Eustace lenkt.

Nach einem Viertel der Geschichte steht bereits fest, wer der Mörder ist: Das Geheimnis der Grays dreht sich demnach weniger um die Enttarnung eines Mörders, sondern konzentriert sich auf das Innenleben des schuldigen Protagonisten Hildebrand. Dem Leser offenbart er nämlich schnell, dass er der Täter ist und lässt ihn auch an der Tat teilhaben. Das wahre Geheimnis hinter seiner Tat liegt in seinen Gedanken, seinen Ängsten und Hoffnungen. Dem Leser wird dies Stück für Stück klarer. Der Originaltitel „Portrait of a Murderer“ verdeutlicht, dass die Geschichte kein klassischer Krimi der Sorte „whodunit“ ist. Der Leser lässt sich daher weniger auf eine polizeiliche Verfolgung, sondern das Innenleben eines Mörders, mit all seinen Gefühlen ein.


Das Geheimnis der Grays wird dominiert vom innerlich ausgefochtenen Zwiespalt seiner Protagonisten.


Das letzte Geheimnis des Hildebrand Gray liegt in der Beurteilung seiner Selbst durch den Leser.
Ist er ihm ans Herz gewachsen, versteht oder verabscheut man ihn gar?
Darüber wird hier nichts geschrieben.
Das ist eure Entscheidung!

Anne Meredith
Das Geheimnis der Grays
ISBN: 978-3-608-96299-4

Buch- und Medienblog im Interview mit Klett-Cotta

In der vergangenen Woche hatte der Buch- und Medienblog Besuch von Klett-Cotta. Im Gespräch erläuterte Oliver Steinhäuser die Besonderheiten der vier Krimis/Thriller „Die Fährte des Wolfes“, „Sie werden dich finden“, „Es klingelte an der Tür“ sowie „Helvetia 2.0“.

Ausführliche Buchbesprechungen zu den Titeln finden Sie hier:

Die Fährte des Wolfes

Sie werden dich finden

Es klingelte an der Tür

Helvetia 2.0

Aufgrund eines Wohnungsumzugs verabschiedet sich der Buch- und Medienblog vier Wochen lang in eine Umbaupause. Hier sieht am Ende aber alles aus wie immer!

Weiter geht es am 02. März  2018 mit einem Reisebericht aus Sizilien.

Lesebericht zu „Sarajevo Disco“ von David Gray

Sarajevo Disco_David Gray_Pendragon_Rezension_Oliver Steinhäuser_BuchblogDer Mord an einem hochrangigen Bandenmitglied in einer Hamburger Disco scheint der Auftakt zu einer erschreckenden Bandenrivalität im Hamburger Kiez zu sein. Als ein weiteres Mitglied einer rivalisierenden Bande brutal ermordet wird, ziehen der Leiter der Mordkommission Lewis Boyle und seine Mannschaft scheinbar logische Schlüsse:
Auf den ersten Mord folgte nun der Vergeltungsschlag.
Allerdings besteht Hamburg aus mehr als nur zwei kriminellen Banden. Die Polizei befürchtet, dass auch die Anführer der anderen kriminellen Vereinigungen auf der Abschussliste stehen. Doch wessen Liste wird in diesem Fall abgearbeitet, und wer ist der Kopf hinter dieser rücksichtslosen Aktion der Marktsäuberung?

David Gray verpasst dem deutschen Polizeiapparat einen US-amerikanischen Anstrich. Seine Figuren interagieren derb und nicht zimperlich, sodass man schnell vergessen könnte, dass der Kriminalroman in Hamburg, und nicht in Los Angeles spielt. Mit der Integration der Hamburger Straßensprache holt er seine Leser jedoch immer wieder zurück in die Hansestadt.
Gray zwängt seinen Protagonisten kein Korsett aus gespielter Intellektualität auf. Ebenso wenig vergibt er seinen Akteuren Vorbildfunktionen. Das empfindet der Leser anfangs als störend und ungeschliffen. Dahinter verbirgt sich jedoch genau jene Authentizität, die wir aufgrund erlernter Verhaltensmuster aus anderen und bekannteren Thriller verinnerlicht haben und uns über die „Sarajevo Disco“ deshalb zu Beginn fälschlicherweise ein voreiliges Urteil bilden.
Gray legt besonderen Fokus auf die Außergewöhnlichkeiten des Umfeldes seines Kommissars Lewis Boyle und der Polizisten Jale Arslan. Beide stammen aus einem sozial schwachen Umfeld. Wer Boyle aus dem Vorgängertitel „Kanakenblues“ kennt, weiß, dass er eine kriminelle Vergangenheit hat und zum Gangsterboss Teddy Armin eine seit Kindheitstagen andauernde Freundschaft pflegt. Als Ermittler kämpft er daher ständig gegen einen Generalverdacht.
Als die Ermittler auf die Spur einer völlig unbekannten Bande treffen, nimmt der Druck auf sie zu. Denn die mit Helmut-Kohl-Masken getarnten Männer drücken nicht nur Gratisdrogen auf den Markt, sondern sind auch diejenigen, die die Morde der getöteten Kiezgrößen zu verantworten haben. Wer steckt hinter diesem Arrangement? Ist es eine der bekannten Hamburger Banden, oder bemüht sich eine neue kriminelle Truppe um Marktanteile?

Zur ermittlungstechnischen Komplexität dieses Falls kämpft Lewis Boyle gegen politische Manöver des Polizeipräsidenten, des Hamburger Bürgermeisters sowie eines Senators, die ihre Gunst beim Volk nicht verwirken wollen. Während die „Bonzen“ des Präsidiums sich gegen eine öffentliche Warnung vor den tödlichen Gratisdrogen entscheiden und sich lediglich für eine Bandenrazzia aussprechen, muss Boyle sich die Frage stellen, ob er seinen Anweisungen nachkommt, oder seinem Gewissen nachgeht und die Öffentlichkeit vor der offensichtlichen Gefahr warnt. Mit dem unausweichlichen Ergebnis einer Suspendierung.

David Gray
Sarajevo Disco
ISBN: 978-3-86532-585-3

Lesebericht zu „Dunkels Gesetz“ von Sven Heuchert

Dunkels Gesetz_Sven Heuchert_Rezension von Oliver Steinhaeuser_Blog_Buchblog_KrimiAls Richard Dunkel den Auftrag zur Grundstücksbewachung annimmt, ahnt er nichts von den kriminellen Machenschaften des Tankstellenbesitzers Achim und seinen Freunden. Diese erhoffen sich durch den Einstieg in den Drogenhandel ein besseres und sorgenfreies Leben. Auch sie wollen ein Stück des riesigen Kuchens aus dreckigem Geld abbekommen und aus ihrem perspektivenlosen Dasein ausbrechen. Eine Existenz aus schlechter Laune, dem antipathischem Begehren einer Schutzbefohlenen und dem dummen Irrglaube an ein existenzsicheres Leben durch Drogenherstellung und -handel.


Wer sich diesen Kriminalroman zulegt, sollte unbedingt beachten, dass es sich um einen Krimi-Noir handelt!


Dunkel bezieht einen Campingwagen auf dem Gelände der stillgelegten Chemiefabrik. Von hier hat er den besten Blick über das abgesperrte Areal und gibt sich seiner Tätigkeit als Wachmann hin. Wesentlich ausgeprägter gibt er sich jedoch seiner Larmoyanz hin. Ein Grübeln über die alten Zeiten, als er noch Söldner war. Aus dieser Zeit verpasste er den Absprung ins Jetzt, sodass Gegenwart und Vergangenheit wie zwei Gewichte an ihm und seinem Gemüt zerren. Alkohol für seine einsamen Nächte kauft er in Achims Tankstelle. Dem wird er zunehmend ein Dorn im Auge, da Dunkel sich zunehmend für die Geschichte eines Jungen interessiert, dessen Todesumstände nie lückenlos aufgeklärt wurden. Weiterhin gefährdet Dunkels Neugier zunehmend die Drogenherstellung Achims und seiner Freunde.

„Dunkels Gesetz“ ist durch stumpfe und abgehakte Dialoge dominiert. Die dadurch erzeugte Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit der Charaktere ist typisch für einen „Krimi Noir“. Noir ist keine Genrekennzeichnung, sondern präzisiert die Art der Grundstimmung in einem Werk. Wie alle Romane oder Filme dieser Gattung, verträgt auch „Dunkels Gesetz“ keine Hektik, aufregende Verfolgungsjagden oder Schusswechsel. Dadurch ergibt sich für den Leser lediglich eine latente Wahrnehmung von Gewalt und Bedrohung.
Ein toter Junge – Ermittlungen eingestellt; eine saufende Alte – wir kennen sie kaum; Richard Dunkels traumatische Vergangenheit – wir erfahren nichts darüber; Achims neue Freundin – kommt irgendwoher aus der Stadt aber keiner kennt sie. Es ist frustrierend! Wenn man Detailreichtum gewohnt ist, macht das Fehlen von Hintergrundinformationen nervös. Doch das ist das Konzept: Absichtliche Informationslücken und dass das Unklare einfach ungeklärt bleibt.

Sven Heuchert
Dunkels Gesetz
ISBN-13 9783550081781

Lesebericht zu „Bretonisches Leuchten“ von Jean-Luc Bannalec

Bretonisches Leuchten_Jean-Luc Bannalec_Rezension_Oliver Steinhaeuser_Buch-und Medienblog, BlogIn der vergangenen Woche erschien der neue Kriminalroman von Jean-Luc Bannalec
Kommissar Dupins sechster Fall

Kommissar Georges Dupin hat frei! Weit weg von seinem Büro in Concarneau, macht er mit seiner Freundin Claire zwei Wochen Urlaub. Schon die Vorstellung an die erzwungene Ruhe und des Nichtstuns setzen dem arbeitswütigen Dupin zu. Nun liegt er allerdings tatsächlich am Strand der Côte de Granit Rose und soll endlich einmal seine Kriminalfälle und den Alltagsstress vergessen. So wünschen es zumindest Claire und auch die Kollegen in Concarneau.

Aus Sehnsucht nach Ermittlungen, kauft Dupin sich eines seiner geliebten Clairefontaine Notizbücher. Nicht wie üblich in rot, sondern blau. Er hat schließlich Urlaub. Wenn er schon nicht arbeiten darf, könne er sich wenigstens einen Fall konstruieren und fiktiv ermitteln.
Doch so weit kommt es nicht, denn aus seinem Feriendomizil verschwindet eine Frau spurlos. Schnell spricht sich im Hotel und auch im Ort Trégastel herum, dass der Besucher Georges Dupin der bekannte Kommissar aus Concarneau ist und wird umgehend um seinen Rat gebeten. Da der Hotelier, die beiden Gendarme, die Inhaberin des Presse- und Tabakladens, der Friseur etc. gewissermaßen über etliche Ecken verwand und verschwägert sind, bilden sie ein eingefleischtes Team. Jetzt, da auch noch der unbeliebte Kommissar aus Lannion den Fall offiziell übernommen hat, arbeiten alle Instanzen des Örtchens zusammen, informieren sich gegenseitig und legen größten Wert auf das Knowhow Dupins. Sie wollen die Tatumstände selbst herausfinden und Ergebnisse abliefern. Neben dem erteilten Arbeitsverbot seiner Freundin Claire, muss Georges Dupin zudem gegen die Drohungen des Kommissars aus Lannion achten. Der fühlt sich durch seine heimlichen Aktionen und die als Urlaubsplausch getarnten Befragungen in seinem Hoheitsgebiet und seiner Ehre übergangen.
Als eine Attacke auf die Lokalabgeordnete Madame Rabier stattfindet und plötzlich eine weibliche Leiche im Steinbruch gefunden wird, nehmen die Ereignisse schlagartig zu. Besonders, da die Tote im Steinbruch zunächst für die verschwundene Frau aus Dupins Hotel gehalten wird. Dem ermittlungssüchtigen Kommissar lässt das natürlich keine Ruhe. Um Claire nicht aufzuregen, muss er sich ausgefallene Ausreden ausdenken. Gut nur, dass auch sie sich nicht ganz konsequent an die Abmachung des arbeitsfreien Urlaubs zu halten scheint.

Wie die fünf Vorgänger der Reihe um den Kommissar Georges Dupin, ist auch der neue Krimi von Jean-Luc Bannalec ein sonniger und wohliger Ausflug in den Sommer der Bretagne.
Er eignet sich wie immer für all diejenigen, die im Sommer zu Hause bleiben, denn Dank der wunderbar bildlichen Sprache kann man das Meer trotzdem riechen und die Bretagne spüren. Die Krimis dienen auch hervorragend zur Vorbereitung und Einstimmung des eigenen Urlaubs im westlichsten Zipfel Frankreichs.

Jean-Luc Bannalec
Bretonisches Leuchten
ISBN: 978-3-462-05056-1

Lesebericht zu „Bretonische Flut“ von Jean-Luc Bannalec

bretonische-flut_bannalec_buch_blog_oliver-steinhaeuser_rezensionDer nahende 75te Geburtstag seiner Mutter setzt Kommissar Dupin seelisch zu. Da kommt ihm der Mordfall in der Fischhalle, der seine Anwesenheit auf diesem Jubiläum in Gefahr bringt, beinahe gelegen. Doch als kurz darauf zwei weitere Mordopfer gefunden werden, beginnt für Georges Dupin eine mit Mythen gepickte Ermittlung, die ihn an die Grenzen seiner eigenen Vorstellungskraft bringt.


Gerade nun, wo die Tage kürzer werden, sich der Frühtau zu kleinen störrischen Eiskristallen verwandelt und die Wiesen bedeckt, wünscht man sich in die idyllische sommerliche-warme Bretagne.


Im Zentrum des Buches steht, wie kann es anders sein, die Mordermittlung. Allerdings nutzt Bannalec „Bretonische Flut“ auch zur Expedition in die bretonische Geschichte sowie in die Welt der Sagen und Legenden der im äußersten Westen gelegenen Region Frankreichs. In diesem Gleichgewicht steht und fällt die Urteilsfindung des Lesers. Man kann wahrlich von einem Gleichgewicht aus Ermittlung und Mythen sprechen, da die Legenden mehr als ein schmückendes Beiwerk sind. Sie nehmen eine zentrale Rolle in Dupins Fall ein und ziehen den Leser immer wieder fort in beeindruckende Sagenwelten. Beeindruckend, wenn man empfangsbereit für Abschweife und glorifizierte Erzählungen ist. Demjenigen, der sich bevorzugt allein dem Fall widmen möchte, dem kann diese Ablenkung auch zu viel werden. So geht es dem Kommissar zu Beginn auch. Dupin gibt nicht viel auf die ausschweifenden Erzählungen seines Inspektors Kadeg. Noch weniger glaubt er den mystischen Geschichten, die dieser ihm über die Orte der Ermittlungen erzählt. Doch Dupin wird eines besseren belehrt, denn dieser Fall bringt auch ihn an seine mentale Grenze. Oder ist es gar ein bretonischer Fluch, der ihm ein Streich spielt? Und was steckt hinter der bretonischen Legende um die goldene Stadt Ys, die ihren Untergang in den Wellen des Meeres fand, weil die gierige Königstochter sich einst mit dem Teufel einließ?

Wieder möchte man wissen, wo sich der Kommissar in seinem neuen Fall aufhält, welche Seewege es sind, die ihm so zusetzen. Unweigerlich bedient man sich einer Online-Suchmaschine, sucht die Gegen um Douarnenez kategorisch ab und findet in der Tat die Orte des Geschehens wieder.


griechische-und-germanische-goetter-und-heldensagenBei all den Legenden und Sagen der Bretagne
geht dem Buch- und Medienblog
auch dieses Buch nicht mehr aus dem Kopf:
Griechische und Germanische Götter- und Heldensagen


Ich sitze in der S-Bahn, schlage das Buch zu und zerbreche mir den Kopf über den verschwundenen Fund Dupins. Gedankenversunken stehe ich auf, denn meine Haltestelle naht. An der Tür macht mir ein Herr Platz, indem er sein Buch vor seine Brust nimmt. Es ist „Bretonische Flut“. Automatisch zücke ich während des Aussteigens mein Exemplar aus der Tasche, schmunzle und zeige es ihm. Ob auch er dem bretonischen Bann erlegen ist? Jedenfalls ist mein Tag – nach einem turbulenten Tag im Büro – gerettet.

Jean-Luc Bannalec
Bretonische Flut
ISBN: 978-3-462-04937-4

Rezension zu „Scherbenkind“ von Britt Reißmann

Scherbenkind_Britt Reißmann_Oliver Steinhäuser_Buchblog_StuttgartWas unternimmst du, wenn diese umtriebige dumme Göre schon wieder einfach in deinem Zimmer war, ihre schmutzigen Miniröcke und High Heels achtlos vor deinen aufgeräumten Kleiderschrank geworfen hat? Was, wenn du einfach keine Erklärung für Dinge, die in deinem Leben passieren, hast? Wenn jeder dich argwöhnisch mustert und stets auf der Hut vor deinen plötzlich wechselnden Charakterzügen ist?
DU MACHST NICHTS. Denn du bist viele. Ihr seid viele. Doch das kleine Mädchen, das du einst warst, bist du schon lange nicht mehr. Du hast dich verkrochen und überlässt anderen Akteuren dein Leben. Und alles nur, um dich selbst zu schützen.

Scherbenkind ist ein Stuttgarter Kriminalroman, in dessen Vordergrund eine komplizierte Ermittlung steht. Der Dreh- und Angelpunkt der Ermittlung um einen erschlagenen Rockmusiker ist die Familie Lohmann, von deren Telefon vor einiger Zeit ein Kind ein Notruf bei der Seelsorge abgesetzt hat. Dieses Kind konnte im Zuge vorangegangener Ermittlungen jedoch nie gefunden werden, da in der Familie lediglich die Eltern und deren jugendliche Tochter wohnen. Doch genau diese Stimme ist es, die nun bei der Polizei anruft und Zeuge eines ungeklärten Mordfalls sein will. Doch wieder wird sie von einem jungen Mann vom Reden abgehalten. Er verbietet es ihr.
Kommissarin Verena Sander und ihr Team stochern im Trüben. Die einzige Verbindung zwischen der Familie Lohmann und dem ermordeten Rockmusiker ist, dass die Tochter Sina das Abschiedskonzert in der Mordnacht besuchte. Während Befragungen des Mädchens kommen den Kommissaren jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit Sinas. Auch in ihrem Zimmer entdecken die Ermittler Anzeichen dafür, dass Sina mehr weiß, als sie zugibt. Dass es sich bei der Jugendlichen jedoch um eine schwer dissoziativ gestörte Persönlichkeit handelt erfährt Verena Sander erst, als sie ihre Freundin und Therapeutin Hannah mit involviert. Gemeinsam versuchen sie zu ergründen, was in der Nacht des Mordes wirklich passiert ist und welche der Persönlichkeiten in Sina etwas mitbekommen hat und seine Erfahrungen den beiden Frauen mitteilt.

Britt Reißmann legt mit „Scherbenkind“ ein Buch vor, dessen Ausmaß der Leser eine ganze Weile nicht zu ergründen vermag. Die Mischung aus Ermittlung und der dazu notwendigen Kenntnis zu multiplen Persönlichkeitsstörungen ermöglichen es dem Leser, sich nicht nur an vermeintlich gestörten Mädchen zu laben, sondern diese Störung zu verstehen. Durch die Protagonistin und Kommissarin Sander legt Reißmann großen Wert auf die Ursachen und die sukzessive Entstehung multiplen Verhaltens. Die Kulisse, die sie dazu wählt könnte nicht grauenhafter sein: Sina und viele weitere junge Mädchen sind Kinder von Mitgliedern einer satanistischen Vereinigung, die nach dem Grundsatz Aleister Crowleys leben: „Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz.“ Und jeder in der Sekte Lebende hat Anspruch auf die in sie hineingeborenen Kinder.

Satanistische Rituale direkt vor der Haustür - Kopfkino beim Joggen durch Stuttgarter Wälder

Satanistische Rituale direkt vor der Haustür – Kopfkino beim Joggen durch Stuttgarter Wälder

Nichts also für schwache Nerven! Noch spannender wird die Geschichte, da sie vor der Haustür spielt, in Stuttgart und Umgebung. Gerade das Wiedererkennen von Schauplätzen steigert die Aufregung und Unfassbarkeit der Story zusätzlich.
„Scherbenkind“ ist ein sehr gut gelungener Kriminalroman, der seinen Leser gebannt in die Welt multipler Persönlichkeiten zieht. Dabei erschafft die Autorin nicht nur unglaubliche Bilder, sondern lässt uns an einem menschlichen Schutzmechanismus teilhaben, der sogar mit voller Absicht während der kindlichen Persönlichkeitsprägung „eingepflanzt“ werden kann.

Es ist bei weitem nicht alles gesagt, doch mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Kaufen und staunen!

Britt Reißmann arbeitet als Büroangestellte im Stuttgarter Morddezernat. „Jede Leichenmeldung geht über meinen Schreibtisch“, sagt Reißmann den Stuttgarter Nachrichten am 09.09.2016.

Britt Reißmann
Scherbenkind
ISBN: 978-3-453-35874-4

 

Ermittlungsprotokoll zu „Ich habe ihn getötet“ von Keigo Higashino

Ich habe ihn getötet, Buchblog, Klett-Cotta, Oliver Steinhäuser, Keigo HigashinoWas soll man dazu sagen: Ein bekannter Drehbuchautor wird am Tag seiner Hochzeit vergiftet und bricht auf dem Weg zum Traualtar in der Kirche zusammen und stirbt. Als Täter kommen drei Menschen aus seinem Umfeld in Frage. Jeder von ihnen hatte offensichtlich die Gelegenheit dazu sein Schnupfenmedikament durch eine Giftkapsel zu tauschen. Und jeder dieser Tatverdächtigen hat auch noch ein Motiv!

Dieser Beitrag wurde auch auf dem Klett-Cotta-Blog veröffentlicht!

Wir erfahren aus den Ich-Perspektiven der Darsteller, was sich zugetragen hat. Jeder einzelne von ihnen kommt zu Wort, schildert seine Eindrücke und lässt uns an der Geschichte teilhaben. Doch passen Sie auf: Keiner der Beteiligten verbreitet falsche Informationen in den erzählenden Teilen seiner Ich-Perspektive. Das gilt jedoch nicht mehr für die direkte Rede, in der jeder sich nur zu seines Gunsten äußert.


Ist das eine Rezension?
Besondere Bücher brauchen ausgefallene Besprechungen!


Ich habe ihn getötet - Die Lösung, Oliver Steinhäuser, Buchblog

Öffnen des geschlossenen Druckbogens

Ein wunderbar erzähltes Buch liegt auf meinem Schoß. Zugeklappt, nachdem ich den geschlossenen Druckbogen mit der sehnsüchtig erwarteten Anleitung zur Lösung dieses verworrenen Kriminalfalls mit einem scharfen Messer aufgetrennt habe. Wer ist der verdammte Mörder, wer schuld am Gifttod des Bräutigams Makoto Hodaka? Ich dreh und wende das Buch – und komme einfach nicht drauf. Bewunderung schlägt in Frust um und ich bin froh darüber, dass es bereits später Abend ist und lege mich enttäuscht schlafen.
7:03 Uhr zeigt der verdammte Wecker an. Kein Mensch steht sonntags um diese Zeit auf, aber ich muss es wissen. Ich schlage willkürlich eine Seite auf und da steht, was beim ersten Lesen keinerlei Beachtung fand. Die Stelle, in der unser Täter die Möglichkeit hat die Pillendose zu tauschen.

Bemerkung des Buch und Medienblogs zur „Anleitung zur Lösung“:
Erstmals wünschte ich mir einen Kriminalroman als e-book zu besitzen, denn ich glaubte auf einer heißen Spur zu sein. Doch wie finde ich die Passage, an der ich glaubte des Rätsels Lösung zu finden? Richtig, indem ich durch die Eingabe von Schlagworten den Text durchsuchen würde. Doch ich habe nun einmal die Printausgabe…
Tipp: auch die Leseprobe auf der Verlagsseite von Klett-Cotta hilft in diesem Fall nicht weiter, denn sie ist nicht lang genug.

Es bleiben demnach nur zwei Möglichkeiten:

  1. Man freut sich über ein perspektivenreiches Buch und findet sich damit ab, keinen Täter präsentiert zu bekommen oder
  2. du weckst den verdammten Ermittler in dir und beißt dich noch einmal von vorne durch und stößt plötzlich auf die augenöffnende Szene!

Keigo Higashino
Ich habe ihn getötet
ISBN: 978-3-608-98306-7
(Klappenbroschur, mit geschlossenem Lösungsbogen)

 

Lesebericht zu „Trügerisches Licht“ von Patríca Melo

Patício Melo, Klett-Cotta, Buchblog, Oliver SteinhäuserHeute, am 23. Juli 2016 erscheint „Trügerisches Licht“ von Patrícia Melo

Mord ist etwas Schlimmes, etwas zutief Abgründiges. Während des Aktes macht man sich die Hände schmutzig, strengt sich an, währenddessen Adrenalin die Blutbahnen des Mörders flutet. Ganz zu schweigen von den stürmischen und emotionsüberladenen arteriellen Sturzbächen aus Angst des Opfers. In der Regel klebt der Schmutz des Täters an seinen Händen, nicht nur in seiner Seele!
Wer allerdings eine als Selbstmord inszenierte Tötung plant, bei dem sich das Opfer im Schlussakt seiner theatralischen Aufführung auf der Bühne selbst richtet, dem scheint Schmutz an einer nicht sichtbaren Hülle abzuperlen.

Dieser Beitrag wurde auch auf dem Klett-Cotta-Blog veröffentlicht!

Gleich der Prolog offenbart den inszenierten Suizid des Theaterschauspielers Fábbio Cássio. Vor Publikum. Noch im aufbrandenden Applaus stellen die Besucher erschrocken fest, dass ihr geliebter Künstler nicht perfekt spielt, sondern tatsächlich tot inmitten der Kulisse liegt.
Abrupt wird der Leser aus dem Schauspiel gerissen und befindet sich inmitten eines Rückblicks, erfährt intimste Details zum getöteten Schauspieler und dessen öffentlich zur Schau gestellten Leben in einer Gesellschaft voller Stigmata, die Prominenten bedingungslose Funktionalität auferlegt und keine Fehltritte zu tolerieren scheint. In der Realität also. Patrícia Melo zieht den Leser in den Bruch der Liebe zwischen dem Schauspieler Fábbio und dessen Ehefrau Cayanne, in dessen Zentrum verblasstes Temperament und die Sehnsucht nach dem Abenteuer steht.
In einem Parallelstrang nähert sich langsam die Geschichte der Leiterin der Spurensuche, Azucena, dem Mord an Fábbio an. Durch ihre Untersuchungen und die damit verbundenen polizeilichen Ermittlungen stößt sie eines Tages auf Cayanne, die nunmehr geschiedene Frau des Schauspielers und Hauptverdächtige im Mordfall ihres Ex-Mannes. Auch dieser Erzählstrang steckt voller familiärer Tragödien, in dessen Bewältigungsprozess der Leser vollends eingebunden wird.
Wer nun vermutet, dass diese sehr detaillierten Charakterisierungen den Plot verlangsamen und den Spannungsaufbau erschweren, der irrt. Es ist Teil des Konzeptes, das konsequent emotionsbetont ausgearbeitet ist. Dem Leser ergibt sich daraus die Möglichkeit, den Charakteren auf einem ebenbürtigen Level zu begegnen, sich mit deren Gefühlswelten zu identifizieren und Parallelen zum eigenen Leben zu ziehen.

Um die Aufklärung des Falls bemüht, begibt sich Azucena in den Kreis krimineller Männer, die weder Skrupel vor sexuellen Übergriffen auf sie als Polizistin haben, noch vor kinderpornografischen Machenschaften zurückschrecken.
Patrícia Melo präsentiert einen von persönlichen Tragödien durchzogenen Kriminalroman, denen auch der Protagonist, Fábbio Cássio, nicht gefeit war und sich plötzlich inmitten einer erpresserischen Bande befand, die ihn zuerst ausnahm und schließlich in den Tod schickte.

Patríca Melo
Trügerisches Licht
ISBN: 978-3-608-50215-2

Buch- und Medienblog schreibt für Klett-Cotta

Buch- und Medienblog schreibt für Klett-Cotta

Ich habe ihn getötet, Buchblog, Klett-Cotta, Oliver Steinhäuser, Keigo Higashino22.06.2016. Nach über einem Jahr Pause ist es wieder soweit. Der Buch- und Medienblog schreibt erneut Gastbeiträge für den Klett-Cotta Blog.

Los geht es mit dem neuen Kriminalroman von Keigo Hihashino. Der japanische Autor fällt vor allem durch die Verwendung komplexer Sachverhalte auf. In seinen Szenen lässt er viel Spielraum für alle erdenklichen Schlussfolgerungen an einem geschehenen Mord. In „Ich habe ihn getötet“ treibt er es auf die Spitze und verrät nicht explizit, wer der Täter ist. Higoshino bindet den Leser am Schluss aktiv ein, gibt ihm kleine Hinweise und führt ihn (wenn man ein wenig Geduld mitbringt) auf die Fährte des Rätsels Lösung.

Hier geht es zum Beitrag:

http://blog.klett-cotta.de/allgemein/ermittlungsprotokoll-ich-habe-ihn-getoetet-von-keigo-higashiono/