Poetry Slam in Ludwigsburg

Elf lange Jahre ist es her, dass der Buch- und Medienblog zuletzt auf einem Poetry Slam war. Doch vorgestern, am Freitag den 19. Februar 2016, lockte der literarische Slam wieder etliche poesie- und klatschwütige Zuschauer in das Central und Union Kino nach Ludwigsburg. Mit dabei war – nach langer Pause – auch der Buch- und Medienblog.Poetry Slam Ludwigsburg, Oliver Steinhäuser, Blog, Central und Union Kino, Theater

Ich betrete den ausverkauften Kinosaal des Ludwigsburger Central und Union Kino und bin beeindruckt. Ein historischer Kinosaal, eingewiehen im Sommer des Jahres 1913, bietet den auftretenden Poeten und der Esslinger Band „mal zwischendurch“ einen intellektuell und imposant anmutenden Rahmen. In dieser Aura reifen die in sechs Minuten vorgetragenen Texte zu Bildern, die auch heute noch präsent sind auf der Leinwand meiner eigenen Vorstellung. Ein über dreistündiges Programm bot den neun Poeten Raum und Zeit zur persönlich lyrischen Entfaltung. Ein spannender Mix aus melancholischen und lustigen Texten regten zum Nachdenken an und stellte die Lachmuskulatur zeitweise auf eine harte Probe.
Nach der Veranstaltung erinnerte ich mich an den Tag meines ersten Slambesuchs im Koblenzer Circus Maximus. Verwundert fragte ich mich, wann der Poetry Slam aus diesen damals kleinen Runden von 15-30 Zuschauern in einem kleinen dunklen Keller zu einer Veranstaltung mit über vierhundert Zuschauern reifte. Obwohl der Poetry Slam als Subkultur zur Abgrenzung von der Masse angefangen hat, macht er auch in großer Runde eine Menge Spaß. Gerade das langsame Einstimmen des Applauspegels von der Wertung 1 bis 10 war sehr imposant. Bei der nachfolgenden Textbewertung bebte der Kinosaal förmlich bei der bestmöglichen Bewertung von 10. Da der Buch- und Medienblog auf dem Balkon saß, bebte es wirklich!
Ich freue mich auf weitere Veranstaltungen und auf das Entdecken neuer poetischer Rohdiamanten.

Lesebericht zu „Albertos verlorener Geburtstag“ von Diana Rosie

Albertos verlorener Geburtstag, Buchblog, Oliver Steinhäuser, MedienblogManchmal gibt es ein ganz besonders starkes Band zwischen einem Großvater und seinem Enkel. Doch nur selten führt es dazu, dass beide eine Reise in die Vergangenheit unternehmen. Eine Expedition zum Ursprung des Großvaters Alberto Romero. Umso schöner, wenn das Duo dabei auch findet, wonach der siebenjährige Tino sich so arg sehnt: Albertos verlorenen Geburtstag.

Auf ihrer Reise in das Landesinnere Spaniens erleben die beiden Abenteurer glückliche Erfolge und drastische Rückschläge. Da Albertos Kindheit im Waisenheim bereits viele Jahre her ist, begeben er und Tino sich auf eine Suche, deren Erfolg ungewiss ist. Das Aufspüren von damaligen Weggefährten gestaltet sich knifflig. Albertos Amnesie seiner frühen Kindheitstage würzt die Suche mit einer zusätzlichen Prise Spannung.
Das Buch zeichnet sich durch seinen besonderen Aufbau aus. Die Suche des Großvaters und seines Enkels ist die gegenwärtige Geschichte. In eingeschobenen Kapiteln erfährt der Leser Teilstücke aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs. Diese Einschübe beschreiben in umgekehrter Reihenfolge die Zeit von 1931 bis 1937, in der Alberto geboren und seine ersten Lebensjahre beschreitet. Durch die Umkehrung der Zeit erfährt der Leser sukzessive wie es zu dem tragischen Tag kam, als der junge Alberto von einem Ausflug mit seinem Vater nicht mehr zurückkehrte und in einem Waisenheim untergebracht wurde. All diejenigen, die an dem Verlauf der Geschichte mitgewirkt haben, schildern die Geschehnisse aus ihrer persönlichen Sicht. Durch die Erzählung aus den Ich-Perspektiven finden die erlebten Gefühle aller Beteiligten auf unmittelbarem Weg Einzug in das Empfinden des Lesers.
Neben der Geschichte zu „Albertos verlorenem Geburtstag“ erzählt das Buch auch einiges zum spanischen Bürgerkrieg. Die ausgewogene Mischung aus historischem Hintergrund und der einzigartigen Suche nach der Vergangenheit machen dieses Buch zu einem wunderbaren, spannenden, herzzerreißenden und einzigartigen Lesevergnügen, das mit unerwarteten Wendungen aufwartet. Und es lehrt uns, dass Gott uns manchmal Prüfungen auferlegt und viel von uns fordert. Doch wer eine positive Grundhaltung widriger Umstände gegenüber besitzt, der wird seinen Mitmenschen gegenüber stets im Vorteil sein.


Der Buch- und Medienblog verbindet mit dieser Geschichte unzählige ähnliche Geschehnisse. Zum 80. Geburtstag seines Großvaters reiste auch er in die Vergangenheit und erfuhr während einer 5-tägigen Reise was es bedeutete im Krieg Dinge zu verlieren, sie nach Jahren wiederzuentdecken, verblasste Erinnerungen erneut zu erleben und sie mit seiner Enkelgeneration zu teilen.


Diana Rosie
Albertos verlorener Geburtstag
ISBN: 978-3-426-65393-7

 

Lesebericht zu „Die Stellung“ von Meg Wolitzer

Die Stellung, Meg Wolitzer, Dumont, Buch- und Medienblog, Oliver SteinhäuserUnendlich viele Stellungen in einem Rat gebenden Buch. Vier minderjährige Kinder, die dieses Buch eines Tages gemeinsam aus dem Bücherregal ihrer Eltern ziehen und es studieren, während ihre Eltern wieder einmal zu einer öffentlichen Diskussion über ihr Buch eingeladen sind. Was sollten Kinder über die Sexualität wissen, wieviel von ihr gesehen haben, sodass es ihnen ein aufgeklärtes Weltbild ermöglicht ohne ihre unschuldigen Gedanken zu ruinieren?

Meg Wolitzers Roman „Die Stellung“ beschreibt eine durch den veröffentlichten Sexratgeber „Pleasuring“ geprägte Familie, deren Leben durch eine öffentliche Aufmerksamkeit geprägt ist. Als die Eltern und Autoren Paul und Roz Mellow eines Abends zu einer weiteren Buchbesprechung aufbrechen, nimmt sich der dreizehnjährige Michael das Buch seiner Eltern aus dem Regal. Was er darin liest und sieht, verändert seine Unschuld für immer, denn die Bilder erregen erste sexuelle Gefühle in ihm. Er kommt nicht umher es seinen drei Geschwistern zu zeigen. Es ist das Gewicht der neuartigen Erfahrung seines Körpers, die er sich nicht allein aufzubürden vermag. Dass er damit sein Schicksal und das seiner Geschwister entscheidend beeinflusst ist dem Jungen nicht bewusst.
Das Buch springt zwischen der Gegenwart, in der die Kinder der Mellows Erwachsen sind und der Zeit des Buchdebüts in den 70er-Jahren. Der Leser erfährt somit die Entwicklung der gesamten Familie.

„Die Stellung“ ist äußerst interessant beschrieben und suggeriert ein einmaliges Leseerlebnis. Allein das Schlagwort Sex regt Fantasien an. Dementsprechend funktioniert der Einsatz auch hier. Der Leser erwartet eine Mischung aus Absurdität, Verwirrung und Eskalation. „Die Stellung“ eröffnet jedoch keines dieser Bereiche konsequent:

  • Claudia, das jüngste Kind der Mellows empfindet ihren Körper unproportioniert und lernt erst spät einen Partner kennen.
  • Dashiell ist homosexuell und schwer erkrankt.
  • Michaels Leben ist aufgrund der Einnahme von Antidepressiva durch Impotenz geprägt. Sexuelle Schwingungen seiner Schwester Holly gegenüber bleiben für den Leser nicht verborgen.
  • Holly, die älteste Tochter der Mellows ist schon früh von zu Hause ausgezogen. Sie war zeitweise drogenabhängig und hat ein gespaltenes Verhältnis zu ihren Eltern und Geschwistern. Sie ist verheiratet und hat einen eigenen Sohn.

Obwohl der rote Faden des Buches Michaels Versuch seinen Vater von einer Neuauflage des Sexratgebers zu überzeugen ist, hat der Leser doch das Gefühl, der Roman liefe ohne einen tieferen Grund vor sich hin. Das liegt hauptsächlich an der hohen Erwartungshaltung, die durch die Vielzahl der möglichen Szenarien einer sexuellen Verwirrung in der frühen Jugend ausgelöst wird. Leider arbeitet Wolitzer keines dieser potentiellen Auswirkungen aus. Die Schicksale der Mellows sind meiner Ansicht nach weniger durch den Ratgeber ausgelöst. Sie sind vielmehr das, was in jeder Familie geschehen kann. Menschen werden krank, homosexuell, distanziert und auch impotent. Dazu braucht es das Geschick einer Buchveröffentlichung nicht. Das ist das Leben.
Der Roman hätte durch die detaillierte Ausarbeitung eines Familienschicksals an Spannung gewinnen können. Da dem Leser die Geschwisterliebe Michaels zu seiner älteren Schwester Holly bekannt ist, hätte sie genug Sprengstoff enthalten, um „Die Stellung“ zu einer einmaligen Geschichte werden zu lassen. Die Veröffentlichung des Sexratgebers der Mellows hätte somit wirklich ernsthafte Auswirkungen auf die sexuelle Bildung von Minderjährigen enthalten.

Meg Wolitzer
Die Stellung
ISBN 978-3-8321-9799-5