Lesebericht zu „Die Musik der Stille“ von Patrick Rothfuss

Musik, Stille, Identität, Buch, BlogNach der Lektüre von „Die Musik der Stille“ fragt man sich, was man gerade auf den vergangenen 170 Seiten gelesen hat. Worum dreht sich die Geschichte, die im Buch allein von dem jungen Mädchen Auri erzählt. Was erzählt sie uns? Warum wird uns die Geschichte erzählt?

Auri, die im Unterding lebt – einem von der Welt abgeschieden und verlassenen Ort – wartet nur darauf, dass ER sie am siebenten Tag endlich wieder besuchen wird. Für seine Ankunft im Unterding bereitet Auri alles vor. Sämtliches muss an seinem Platz sein. Jeder Gegenstand, jedes noch so nichtig erscheinende Objekt muss seine genau bestimmte Position einnehmen. Jeder vorhandene und gerade neu entdeckte Gegenstand ist für das Mädchen etwas ganz Besonderes, weil es diese Objekte selbst sind, die Auri mitteilen, welchen Platz sie in den Räumen ihrer Welt und ihrer Räumlichkeiten einnehmen möchten.
Um Auri verstehen zu können, muss man erkennen, dass sie ein Geschöpf mit zwanghaften Störungen ist. Sie ist getrieben von einem Ordnungswahn, der sie dazu zwingt, die Räume ihrer Welt so herzurichten, dass sie „richtig“ sind. Alles muss zueinander passen und miteinander in harmonischem Einklang sein. Das gilt auch für die Gegenstände, die in ihrer Vorstellung ebenso Persönlichkeit sind wie sie selbst. Nur dann sind alle glücklich und die Ordnung ihres Lebens befindet sich im Gleichgewicht.
Die Protagonistin weiß, dass in ihrem Inneren vieles nicht zum Besten steht und ist sich im Klaren darüber, dass die Unordnung in ihrem Inneren sie zu einer einsamen Person macht.
Glück extrahiert sie aus den Momenten, in denen sie Räume und Objekte zueinanderpassend vereint. Traurig stimmen sie Situationen, in denen sie nicht den richtigen Platz für ihre Heiligtümer finden, denn sie selbst ist es, die für die Weltordnung zuständig ist. Und sei diese Welt auch nur in ihrem Kopf vorhanden. Sie muss sich an deren stringente Gesetzmäßigkeit halten.

„Die Musik der Stille“ ist ein Werk, das – wie Rothfuss es selbst bestätigt – den Regeln der Literatur vollständig widerspricht. Das Buch ist zunächst weder spannend, noch ist es lehrreich – abgesehen davon, dass man im Anschluss in etwa weiß, wie Seife hergestellt wird. Aber es zieht den Leser auf eine merkwürdig erfolgreiche Weise in seinen Bann.
Es ist rückblickend betrachtet ein Werk, mit dem sich jeder partiell identifizieren kann. Denn es ist die Verwirrtheit und Unsicherheit der Protagonistin, die jeder von uns erfahrungsgemäß gemacht hat oder noch durchleben wird. Es ist das Umsetzen und Verwirklichen seiner eigenen Identität, die getrieben von inneren Prozessen unter Mithilfe von Selbstzweifel und Verzweiflung geformt wird, bis sie eines Tages mehr oder weniger gefestigt ist.

Patrick Rothfuss erweckt mit seiner besonderen Sprache eine Geschichte zum Leben, die auf den ersten Blick alltäglich und unbedeutend wirkt. Doch wer sich auf „Die Musik der Stille“ einlässt, erfährt auch einiges über sich selbst. Das Buch bietet Zeit zur Reflexion. Es erzählt seinen Rezipienten, dass es verrückt ist. „Die Geschichte ist für all die leicht angeknacksten Leute da draußen. Ich bin einer von euch. Ihr seid nicht allein. Und in meinen Augen seid ihr alle schön“, wie Patrick Rothfuss es in seiner Nachbemerkung treffend erklärt.

Patrick Rothfuss
Die Musik der Stille
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96020-4

„Involvement“

Von Involvement spricht man im Marketing, wenn der Konsument empfindet, dass ein Produkt etwas mit sich selbst und seiner Persönlichkeit zu tun hat, dass ein Kauf also eine spürbare Auswirkung auf den Käufer zur Folge hat.
Aus Konsumentensicht ist dieses Gefühl eine subjektive Empfindung, eine Sensibilisierung, die immer dann auftaucht, wenn man gerade besonders betroffen von gewissen Produkten oder Geschehen ist.
Ist die eigene Waschmaschine defekt, taucht plötzlich überall Werbung zu Waschmaschinen auf. Benötigt man einen neuen Computer, fallen auf einmal Scharen an Computerangeboten über einen her.

Lesebericht zu „Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek“ von David Whitehouse

Buch, Reise, Bibliothek, Blog„Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek“ ist ein Feuerwerk der Gefühle, die durch die Kuriosität seiner Protagonisten zu einer liebenswerten Lektüre wird, die man gar nicht weglegen möchte. Die Beziehung des Lesers zu Bobby Nusku entwickelt sich dabei zu einer geradezu brüderlichen Verbundenheit, von der man sich nur schweren Herzens nach 314 Seiten trennen kann.


Als ich vor zwei Wochen im Büro saß, hatte ich gerade einen Kriminalroman gelesen, in dem der Täter eine Bäckereiverkäuferin ausspäht, um deren zeitlichen Tagesablauf genau zu dokumentieren. Da er jeden Tag seine Backwaren bei dieser Frau kauft, kennt sie seine Vorlieben und übergibt ihm – noch bevor er bestellen kann – seine Ware. Meine Kollegin erzählt mir tags darauf leicht betrübt, dass die Verkäuferin der Bäckerei, in der sie jeden Morgen ihr Brötchen holt, nicht mehr da sei, und „Der Neue“ gar nicht weiß, was sie jeden Tag zum Frühstück essen möchte. Ich erzähle ihr daraufhin, dass im Leben immer genau das passiert, was in den Büchern steht, die man gerade liest. Das Phänomen nennt sich „Involvement“ – also die Einbezogenheit in das gerade Geschehende.


Lesen, Literatur, Blog, Oliver SteinhäuserUnd dann sitze ich auf dem Weg zum Büro im Zug und schlage eine neue Seite in „Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek“ auf:
„ ‚In jedem Buch gibt es irgendeinen Hinweis auf dein eigenes Leben’, sagte sie. ‚Auf diese Weise sind die Geschichten alle miteinander verbunden. Du erweckst sie zum Leben, wenn du sie liest, und dann wirst du das, was darin passiert, auch erleben.’“
Meine anfängliche Skepsis an den Titel ist sofort verflogen, denn es schließt sich der Kreis. Die Geschichte, die in einem anderen Buch anfing, geht hier weiter, bestätigt meine Gedanken und zieht mich in ihren Bann!

Das Buch beginnt mit seinem Ende. Der Bücherbus steht an der Kante einer Klippe, umzingelt von Polizeiwagen. Inspektor Jimmy Samas ist besorgt, dass die Frau am Steuer die mobile Bibliothek, in der er außerdem zwei Kinder und ein entflohener Häftling vermutet, in den Abgrund steuern könnte. Um das entstandene Bild zu verstehen, entführt David Whitehouse uns in das Leben des jungen Bobby Nusku, einen Jungen, der unter dem Verlust seiner Mutter und seinem ausfallend und gleichgültigen Vater leidet und weiterhin schutzlos den Schikanen durch Mitschüler gegenüber steht. Als Bobby eines Tages auf die geistig behinderte Rose und deren Mutter Val Reed trifft, entsteht in ihm der Wunsch nach Zuwendung, Geborgenheit und Wertschätzung. Als plötzlich auch noch sein einziger Freund Sunny – nach mehrfachen schmerzvollen Versuchen sich in einen Cyborg umzuwandeln, um Bobby zu beschützen – wie vom Erdboden verschwindet, findet Bobby in Val und Rose eine Familie, wie er sie sich seither ersehnte.

Die Kernaussage des Werkes ist die Suche nach einer Familie, auch wenn diese nicht aus der biologischen Formation von „Vater, Mutter, Kind“ bestehen muss. Sie muss einfach nur die richtigen Gefühle in uns erwecken und dabei ergeben sich familienähnliche Konstrukte fernab derjenigen Zustände, in die manche Menschen hineingeboren wurden.

Während Val Reed Bobby immer wieder erzählt, dass kein Buch ein Anfang oder ein Ende habe, weil es nur eine kurze Sequenz einer Geschichte enthalte, die auch immer etwas von seinem Leser enthält, zeigt David Whitehouse jedem von uns, dass für jedes Problem, dem man gegenübersteht, in zahllosen letzten Buchkapiteln längst eine Lösung präsentiert wird. Gefühle wie Liebe, Verlust und der Tod, die über einen Menschen hereinbrechen können, sind in Büchern so oft überwunden worden, dass man ihnen nie wieder allein gegenüberstehen muss.

David Whitehouse
Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50148-3

Ordnungsamt vs. Buch- und Medienblog

Oliver Steinhaeuser_Buch und Medienblog_Rhein Zeitung Koblenz„Ärger über unberechtigtes Knöllchen“

Seit einigen Wochen schon stehe ich im Kontakt mit der Redaktion der Rhein-Zeitung in Koblenz. Aus meinem ürsprünglichen Anliegen – des Publizierens meines Leserbriefs – entstand ein halbseitiger Zeitungsartikel in der Koblenzer Stadtausgabe der Rhein-Zeitung. Anbei ein Auszug aus dem gestern (Freitag, den 6. Februar 2015) veröffentlichten Artikel:

 

„Verschwörung“ – Fortsetzung der „Millennium“-Krimireihe

Die Fortsetzung von Stieg Larssons „Millennium“-Krimireihe über die Hackerin Lisbeth Salander und den Journalisten Mikael Blomkvist soll „Verschwörung“ heißen. Dies teilte der Heyne-Verlag diesen Mittwoch mit. Weiter heißt es, dass man das Buch am 27. August 2015 auf den Markt bringen möchte.
Den Titel mit dem Namen „Det som inte dödar oss“ („Was uns nicht umbringt“) schrieb der schwedische Autor David Lagercrantz. Der Autor der ersten drei Bände, Stieg Larsson, verstarb bereits im Jahr 2004, im Alter von 50 Jahren, an den Folgen eines Herzinfarkts – kurz vor dem damaligen Erscheinen des ersten Bandes „Verblendung“.
Nach Angaben des Heyne-Verlags verkauften sich die Titel der „Millennium“-Krimireihe 80 Millionen Mal.

Lesebericht zu „Die Lebenden und die Toten“ von Nele Neuhaus

Nele Neuhaus_Die Lebenden und die TotenNele Neuhaus thematisiert in „Die Lebenden und die Toten“ Machenschaften innerhalb der Organtransplantationsmedizin. Ein Mörder erschießt scheinbar wahllos unbescholtene Bürger. Während das Ermittlerduo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein zu Beginn des Buches noch völlig im Dunkeln tappen, zeichnet sich dem Leser sukzessive ein Bild aus Rache und Vergeltung. Der Mörder beschreitet dabei einen perfiden Weg, der aus der Ermordung von Angehörigen besteht. Durch dieses Vorgehen schaltet er seine Widersacher nicht einfach nur aus, sondern lässt ihnen den gleichen Schmerz zuteilwerden, den diese ihm und seiner Familie in der Vergangenheit zugefügt haben. Sie alle müssen sterben, weil die Handlung eines Angehörigen den Vergeltungsdrang des Täters geweckt hat.
Während die Ermittler den Mörder finden wollen, ermittelt die Tochter des in den Handlungsstrang verstrickten Arztes Dr. Prof. Rudolf auf eigene Faust. Doch im Gegensatz zu den polizeilichen Nachforschungen, geht es Karoline Albrecht nicht darum den Mörder zu finden, sondern die Wahrheit über ihren Vater, der offensichtlich durch den Tod seiner Ehefrau für illegale Organtransplantationen bestraft werden soll. Zu Beginn ihrer eigenen Recherche stellte der Charakter der Karoline Albrecht für mich zunächst einen störenden Faktor dar. Dies änderte sich jedoch, als sie durch das Aufspüren der Freundin einer zentralen Person des Buches, an bahnbrechende Informationen gelangt, die es der Polizei erstmals erlaubt das Geschehen wirklich zu durchdringen.

Auf dem Weg zur Ermittlung des Täters, begegnet der Rezipient sehr vielen Charakteren aus Familie, Umfeld, Zeugen sowie Nebenrollen. Jeder könnte der Mörder gewesen sein. Wer hat etwas zu vertuschen? Wer hat eine alte Schuld offen? Wer fühlt sich verletzt und hätte dadurch ein eindeutiges Motiv? Wer ist in diesem Transplantations-Skandal eigentlich Opfer und wer Täter? Und die allerspannendste Frage: Wer darf sich „Der Richter“ nennen?

Obwohl die „Lebenden und die Toten“ ein Kriminalroman ist, arbeitet Nele Neuhaus unverblümt die Skandale der Transplantationschirurgie auf und vermittelt ein erschreckendes Bild davon, wenn Gier, Ruhm und Narzissmus Antrieb lebensrettender Mediziner sind.
Des Öfteren schlug mir in den Meinungen zu dem Titel eine eindeutige Kritik bezüglich des angesprochenen Themas entgegen. Ist „Die Lebenden und die Toten“ möglicherweise eine Entmutigung potentieller Organspender? Meine Meinung dazu ergibt sich aus einem Vergleich anderer Lebenssituationen und Umständen:
Fakt ist, dass es in allen Bereichen des Lebens Menschen gibt, die anderen helfen wollen. Und an Stellen, an denen geholfen wird, wird auch ausgebeutet. Egal ob dies Textilspenden, Hilfsgüter oder eben Organspenden betrifft. Falsche und heuchlerische Intentionen sind nun einmal vielerorts präsent, doch sollte man sich nicht von solchen Ausnahmen entmutigen lassen, selbst zu helfen!

Nele Neuhaus
Die Lebenden und die Toten
Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13 9783550080548

„Tiefe Wunden“ von Nele Neuhaus – Free-TV-Premiere

Tiefe Wunden_Nele NeuhausMit „Tiefe Wunden“ wird morgen, den 2. Februar 2015 um 20:15 Uhr, die dritte Filmadaption der Taunus-Krimis von Nele Neuhaus im ZDF ausgestrahlt. Mit „Die Lebenden und die Toten“ ist ist Nele Neuhaus derzeit mit ihrem siebten Band der Taunus-Krimi-Reihe in den Bestsellerlsiten vertreten. Der Titel um die Ermittler Bodenstein & Kirchhoff wird vom Ullstein Verlag publiziert.

Vier der Werke wurden für das ZDF verfilmt, zuletzt der 2009 veröffentlichte Kriminalroman „Tiefe Wunden“, den der Fernsehsender morgen Abend in seiner Free-TV-Premiere zeigt.

Zum Inhalt:
Der 92-jährige Holocaust- Überlebende David Josua Goldberg wird in seinem Haus im Taunus mit einem Genickschuss getötet. Bei der Obduktion macht der Arzt eine seltsame Entdeckung: Goldbergs Arm trägt die Reste einer Blutgruppentätowierung, wie sie bei Angehörigen der SS üblich war. Dann geschehen zwei weitere Morde, die Hinrichtungen gleichen. Welches Geheimnis verband die Opfer miteinander? Die Ermittlungen führen Hauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine Kollegin Pia Kirchhoff weit in die Vergangenheit: nach Ostpreußen im Januar 1945 …