Drei Männer treffen auf der Suche nach einem Schlafplatz in einem Wirtshaus aufeinander. Während zwei der Männer um einen Schlafplatz suchen, hegt der Dritte ein Verbrechen. Er hat es auf das Vermögen des Pflanzers Clemens Musgrove und des Räuberhäuptlings Jamie Lockhart abgesehen.
Nur der Kühnheit des Jamie Lockhart hat der naive Clemens sein Leben zu verdanken, denn dieser wittert bereits die ausgehende Gefahr und bringt ihn und sich selbst in Sicherheit. Zu Hause angekommen erzählt Clemens seiner zweiten Frau Salome sowie seiner Tochter Rosamond (aus erster Ehe), welch ehrenwerten Mann er auf seiner Reise kennen gelernt hat und dass er eben diesen zum Dank in den kommenden Tagen zu Besuch erwartet.
In der Hoffnung die gehasste Stieftochter Rosamond loszuwerden, schickt Salome sie wiederkehrend zum hintersten Waldrand, um dort die besten Kräuter zum Kochen zu suchen. Dort, so hofft sie, reißt sie ein wildes Tier oder entführt sie ein Indianerstamm. Es dauert nicht lange, da wird das Mädchen von einem Räuber ihrer sämtlichen Kleider beraubt – von keinem geringeren als dem ehrenwerten Jamie Lockhart. Doch als dieser einige Tage daraufhin im Hause Musgrove zu Gast ist, erkennen er und Rosamond sich nicht. Denn er trägt keine Räubertarnung mehr und das Mädchen ist vom Arbeiten im Haushalt von oben bis unten verdreckt. Gemeinsam wird beschlossen, dass Lockhart Rosamonds Peiniger aufspüren soll. Als das Mädchen eines Tages wieder im Wald Kräuter sammeln muss, trifft sie erneut auf ihren Räuber und beginnt mit ihm ein gemeinsames Leben. Ohne über dessen Doppelleben zu wissen.
„Der Räuberbräutigam“ ist ein modernes Märchen, das auf typisch fabelhaften Elementen aufbaut. Merkmale sind etwa sprechende Tiere, notorische Lügner sowie ausufernde Naivität. Diese Zügellosigkeit dient allein dem Zweck, seinen Lesern eine Lehre zu sein und ihnen die Gefahren der Welt begreiflich zu machen. Dazu gehört auch das Reflektieren des eigenen Verhaltens. Etwa begegnen dem aufmerksamen Leser die als „sieben Todsünden“ bekannten schweren Sünden des Katechismus der katholischen Kirche:
Superbia, Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia und Acedia (Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit).
Hinter dem Deckmantel des Märchens erzählt Welty mit einer erbarmungslosen Neutralität von Mord, Menschenraub, sexuellen Übergriffen und Überfällen, als seien es Ereignisse ohne jedwede Auslösung menschlich-seelischen Gefühls. Zwischen Zeitsprüngen erheblichen Ausmaßes, Vorenthaltung prägender Geschehnisse sowie dem plötzlichen Verschwinden und unerwarteten Wiederauftauchen von Charakteren gleitet der Leser in ein poetisch-bildhaftes Märchen gleich der Impressionen, die uns die Welten der Gebrüder Grimm bereits in frühen Kindheitstagen prägten.
Eudora Welty
Der Räuberbräutigam
ISBN: 978-3-608-96028-0