Lesebericht zu „Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde“

Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Rezension von Oliver SteinhäuserDas plötzliche Auftauchen eines kleinwüchsigen Mannes von grauenhafter Gestalt erweckt das Interesse des Gabriel Utterson, Freund und Notar des Dr. Henry Jekyll. Das äußerst schlechte Benehmen des ihm unbekannten Mannes, der auch vor Gewalt nicht zurück schreckt, jagt ihm ein Schauer über den Rücken, denn ausgerechnet zugunsten dieser mysteriösen Gestalt lautet das Testament des Dr. Jekyll. Der Anwalt Utterson begibt sich auf die Suche nach der Verbindung zwischen dem wahrhaften Übeltäter und dem angesehenen Doktor.

Die dabei aufgedeckten Umstände können abstruser nicht sein, denn in dem rechtschaffenden und vielgeschätzten Dr. Henry Jekyll lauert eine bestialische, sich nach Gewalt sehnenden Seite, deren Unterdrückung ihm zusehends außer Kontrolle gerät. Schuld daran ist sein zufällig entwickeltes Elixier, dass seine Böse von der Guten Seite zu trennen vermag. Mr. Hyde tritt in Erscheinung, in dessen Form Jekyll fortan unerkannt und ungesühnt seiner gewaltlüsternen Perversion nachgehen kann.
Doch birgt das Spiel auch für den Doktor eine Gefahr: Seine Experimente bleiben nicht ohne Folgen. Der in Jekyll schlummernde Mr. Hyde verlangt immer öfter nach einem öffentlichen Auftritt und drängt sich in das Leben des Jekyll, der seine Persönlichkeitsstörung immer weniger zu steuern vermag. Aus Angst die Kontrolle über seinen guten Ruf zu verlieren, richtet er sich selbst und beendet damit den merkwürdigen Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Dissoziative Störungen entwickeln in der modernen Kriminalliteratur und Psychothrillern eine steigende Popularität, durch die Autoren es immer wieder schaffen, ihre Leser auf falsche Fährten zu führen und sie zu hintergehen. Das Böse in jedem Menschen bietet auch nach Jahren noch immer umfassende Faszination, die Robert Louis Stevenson bereits im Jahre 1886 zum Anlass nahm, seine berühmte Ausformulierung des Doppelgängermotivs in der Weltliteratur zu verankern. Seine Novelle führt uns die Gefahr des Drogenkonsums vor Augen. Der Verzicht, Dr. Jekylls Elixier näher zu beschreiben, lässt einen allgemeinen Rückschluss zum Umgang mit Drogen und dessen Auswirkungen auf unser Leben zu. Bereits legale Drogen wie Alkohol führen bei stetigem und missbräuchlichem Konsum zu Wesensveränderungen und enden nicht selten in Gewalt und einem gewissen Kontrollverlust (vgl. dazu das Korsakow-Syndrom). Durch das Übertragen dieser Kenntnis auf den Konsum harter Drogen, wird die exponentiell ansteigende Gefahr der Bildung einer Schizophrenie und der damit verbundene Entwicklung weiterer Persönlichkeiten erschreckend deutlich.
Die gewohnt expressionistisch ausgeführten Zeichnungen Robert de Rijn´s (illustrierte 2014 „Der Nibelungen Untergang“) runden die düstere Geschichte mit spannenden Bildern ab.

Robert Louis Stevenson
Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde
ISBN: 978-3-15-011002-7