Lesebericht zu „Die Vermissten“ von Caroline Eriksson

Die Vermissten von Caroline Eriksson, Buchblog, Oliver Steinhäuser, Rezension, PsychothrillerMeine Gedanken schweifen ständig ab, ich sehe und fühle schreckliche Dinge. Ich liebe einen verheirateten Mann dessen Autorität mich wie besessen an ihn fesselt. Mich in den Bann zieht, obwohl er mich demütigt und unterdrückt. „Du bist schon ein bisschen verrückt. Hast nicht mehr alle Latten am Zaun, was?“, gibt er mir gelegentlich zu verstehen. Die Grenze meiner Realität und den Dingen die wirklich existent sind, ist ein immer schmaler werdender Pfad, an dessen Endpunkt Unglaubwürdigkeit und Irrsinn warten.
Mein Name ist Greta. Willkommen in meiner Paranoia.

Während eines Bootsausflugs auf dem mysteriösen Maransee, dem Nachtmaar, verschwinden bei einer Inselerkundung Gretas Freund sowie seine Tochter spurlos. Panisch sowie hin- und hergerissen sucht Greta, die während der Erkundung im Boot gewartet hat, die Insel nach den beiden ab. Doch sie sind spurlos verschwunden. In ihrer aufkeimenden Panik erkennt der Leser bereits einiges über Gretas Geisteszustand. Sie handelt völlig irrational, ist apathisch und total überfordert. Bereits das zweite Kapitel lässt erahnen, in welch desolatem Zustand Greta sich befindet. Es kristallisiert sich eine Paranoia heraus, die es ihr unmöglich macht, klare Gedanken zu formen.
Auf ihrer Suche trifft sie auf eine Jugendgruppe, die Tiere quält, randalieren und ihre Mitmenschen in Angst und Schrecken versetzen. Der Leser befindet sich in einem ständigen Zwiespalt zwischen dem Glauben an real geschehende Ereignisse und dem Verdacht auf eine Fantasie der Protagonistin. Durch die konsequente Betrachtung aus der „Ich-Perspektive“ verschleiert Caroline Eriksson dies und lässt keinen eindeutigen Rückschluss zu. Das führt in einigen Thrillern zum Spannungsaufbau, da der Leser zeitweise zu falschen Schlussfolgerungen getrieben wird. Diesem Titel hätte ein Perspektivwechsel jedoch nicht geschadet. Vor allem, da am Ende nicht alle Trugschlüsse ausgeräumt werden. Es kommt kein Licht ins Dunkel:
„Es ist mitten in der Nacht. Es ist der Punkt, an dem man genauso weit von der Abenddämmerung entfernt ist wie vom Morgengrauen. Dunkelheit von allen Seiten, Dunkelheit, wohin ich mich auch wende.“ So geht es nicht nur der Protagonistin.

Eriksson verdeutlicht, auf welch erschreckende Weise Menschen einander manipulieren und indoktrinieren können. Dabei ufert ihre Protagonistin so sehr aus, dass der Kontext verloren geht und der Leser sich im Nirwana einer geistig verwirrten Persönlichkeit verliert. Man könnte gar vom Verlust der Kontextualisierung sprechen. Sie bedeutet, dass komplexe und vielschichtige Wörter aus ihrem sprachlichen Zusammenhang heraus betrachtet werden müssen, ganz so, wie auch kulturelle Objekte nur in deren spezifischen Zusammenhängen heraus betrachtet Sinn ergeben.
Diesen Mangel an Informationen zur Herstellung der Bezüge ist die große Schwachstelle dieses Psychothrillers.

Caroline Eriksson
Die Vermissten
ISBN: 978-3-328-10038-6

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