Die Geburt eines Kindes ist der wohl aufregendste und glücklichste Moment eines sich liebenden Paares. Ein Anlass, zu dem man das Überqueren der Türschwelle eines Krankenhauses nicht mit Krankheit und Verlust, sondern mit der Entstehung neuen Lebens verbindet. Leider geht das nicht immer so einfach, und Tom muss dabei eine traurige Erfahrung machen. Das Schicksal hat für ihn keine traditionelle „Vater-Mutter-Kind-Familie“ vorgesehen, denn bei seiner Partnerin Karin wird im Verlauf der Schwangerschaft Leukämie diagnostiziert. Dank eines ungeplanten und dann auch noch frühen Kaiserschnitts öffnet sich für seine Tochter Livia das Tor zur Welt, während die nicht heilbare Krankheit seiner Freundin Karin innerhalb kürzester Zeit die Tür des Vertrauten und Geborgenen für immer zuschlägt.
Mit Luftnot liefert Tom Karin im Krankenhaus ein. Die zerschmetternde Diagnose lautet Leukämie in einem bereits weit vorangeschrittenen Stadium. Bevor jedoch die Therapie begonnen werden kann, muss ihr Kind per Kaiserschnitt entbunden werden. Karins letzte Entscheidung, bevor Medikamente und fortschreitender Zerfall sie von ihrem Bewusstsein trennen lautet: Livia. Der Name eines Kindes, das sie selbst nur aufgrund pränataler Kindsbewegungen in ihrem Körper kennt.
Der Leser ist nach nur wenigen Seiten in einer traurigen und belastenden Geschichte gefangen. Er lernt den Vater Tom in einer auch ihm unbekannten Umgebung kennen. Er hetzt durch die Gebäude und Gänge des Krankenhauses, zwischen der Frühgeborenen-Station und der Thorax-Intensivstation. Das Krankenhaus verlässt Tom nur mit seiner Tochter.
Zur Verarbeitung des Geschehenen und zur Erinnerung an eine erfüllte Vergangenheit mit seiner Freundin, schreibt Tom Malmquist im Namen seines Protagonisten Tom Malmquist ein Buch. Gegenwart und Erinnerung finden darin einen gleichrangigen Stellenwert. Erinnerungen an das Verliebt sein, an die Freuden und den Zweifeln. „In jedem Augenblick unseres Lebens“ führt uns die Macht des Schicksals vor Augen und offenbart, dass wir trotz aller Umstände zu jeden Moment unserer Existenz leben.
Das konsequente Auslassen von Anführungszeichen der wörtlichen Rede verstärkt die Machtlosigkeit während den tragischen Ereignissen. Ohne sie drohen dem Leser der Verlust der Struktur und das Verschwimmen der Zeilen. Worte und Situationen gehen ineinander über, drohen dem Leser zu entgleiten. Sie verschwimmen im Kummer, ja Ohnmacht, und sind für Tom kaum in Worte zu fassen. Malmquist schreibt ein Buch, in dem das Überspringen einzelner Zeilen unverzichtbar scheint. Denn nur wer im kontinuierlichen Fluss der Dialoge gelegentlich den Überblick verliert, hat eine Ahnung über die Überforderung des Protagonisten und Vaters.
Zwischen all den Hürden und Anstrengungen, die Tom zu bewältigen hat, erfährt der Leser eine Menge über Säuglinge – Informationen, mit denen sich nur Eltern identifizieren können: Beispielsweise die korrekte Menge an Vitamin D, den Moro-Reflex oder Kindspech. Oder den besten Zeitpunkt zur Vaterschaftsanerkennung und der Einwilligung der Mutter zum geteilten Sorgerecht – in seinem Fall leider zu spät, denn die Kindsmutter ist tot und das erschwert den Vorgang ungemein. „Was mich bei diesem Zirkus am meisten verletzt, ist die Tatsache, dass eine simple Heiratsurkunde, die man schon unterschreiben kann, wenn man sich nur eine Viertelstunde aus der Kneipe kennt, mehr zählt, als dass man zehn Jahre zusammen gelebt hat, ist eine Heiratsurkunde denn wichtiger als die Geschichte einer Familie?“ (S. 167)
Eine Bürokratie, die kaum auszuhalten ist!
Falsch liegt, wer hinter „In jeden Augenblick unseres Lebens“ einen tränentreibenden Trauerroman vermutet, denn dem Leser bleibt ebenso wenig Zeit zur Trauer, wie dem Protagonisten Tom. Wir sind zusammen mit ihm und der Bewältigung seiner Probleme so beschäftigt, dass wir dem Überlebenstrieb mehr folgen als uns in Larmoyanz zu ergeben.
Tom Malmquist
In jedem Augenblick unseres Lebens
978-3-608-98312-8