Verschwörungstheorien à la Carte – Entstehung und Ursprung von Verschwörungstheorien

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666 = die Zahl des Teufels

Verschwörung, Great Seal of the United States, Blog, Oliver Steinhaeuser

Das „Große Siegel der Vereinigten Staaten“

Verschwörungstheorien und der Glaube an Geheimbünde haben, seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, eine verstärkte Anziehungskraft auf die moderne Gesellschaft. Es tauchen Menschen auf, die noch weiter gehen und die Mondlandung der Amerikaner für eine in Fernsehstudios nachgestellte Szenerie halten und dies mit scheinbar glaubwürdigen Beweisen belegen wollen.
Schnell kommt die Frage nach der Verbreitung solcher Theorien auf, und warum sie uns seit einigen Jahren so präsent erscheinen? Ein entscheidender Faktor ist die Verbreitung des Internets und der Möglichkeit der Interaktion, im „Web 2.0“. Durch soziale und interaktive Medien erleben wir eine verstärkte Sichtbarkeit der Subkulturen deren Kommunikation sich in den siebziger oder achtziger Jahren noch auf analoger Ebene befand. Aufgrund dieser Zugänglichkeit tritt das Narrativ einer Verschwörung zunehmend in eine breitere Öffentlichkeit. Einer Öffentlichkeit auf der Suche nach Bestätigung ihrer Zweifel, die nach der Gruppe sucht, die im Hintergrund alles heimlich plant und steuert.

Doch wo kommt der Verschwörungsglaube an eine höherstehende Macht oder Institution her? Geschichtlich betrachtet rührt er primär von der Säkularisierung. Denn mit ihr entfiel der Glaube an eine göttliche Instanz, die alle Fäden in Händen hielt. Zugleich waren die Menschen im 18. Jahrhundert nicht zur Einsicht bereit, dass komplexe Gesellschaften Dinge hervorbrachten, die ihr nicht explizit intendiert wurden. Es musste also jemanden geben, der alles geplant hat. Gott konnte es aufgrund der vorangegangenen Aufklärung nicht mehr sein. Begünstigend kommt hinzu, dass Expertenwissen nicht mehr als Gegebenheit angesehen wird, sondern – man danke an Wikipedia – stärker hinterfragt und sogar erstellt werden kann. Das Infrage stellen klassischer Wissenshierarchien kann unsere Gesellschaft weiterentwickeln, doch birgt es in der Komplexität unseres Daseins ebenso Gefahren: Denn das Individuum entscheidet sich aus einem Grundgefühl heraus für eine Einstellung und sucht sich im Anschluss die dazu passenden Argumente. Mit Auswahl dieser entsteht um einen Menschen und seiner Identität ein Realitätstunnel, in dem sich seine subjektive Meinung manifestiert. (Mehr zu Realitätstunneln & Interaktion finden Sie auf dem Blog von Thomas Heindl)
Dieser identitätsprägende Prozess festigt Einstellungen und Ansichten zu Themen, die – gleich eines Tunnelblicks – aus dem Blickfeld ragen und weniger objektiv reflektiert werden als neutral betrachtete Themen. Wobei sich an dieser Stelle die Frage der Existenz von Neutralität stellt:
Gibt es so etwas überhaupt? Oder sind wir nicht bereits ab Kenntnis eines Umstandes mit dem Abgleich von uns bekannten Mustern und dem Abwägen beschäftigt und verfälschen die Objektivität?

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Lexikon der Verschwörungstheorien

Wem auf der Suche nach Argumenten die Quellen versiegen, kann sich im „Lexikon der Verschwörungstheorien“ von Robert Anton Wilson auf die Suche begeben. In diesem Arsenal der Verschwörungstheorien findet sich gleichermaßen Bekanntes sowie Unbekanntes. Der Verschwörungsinteressierte sollte während seiner Lektüre nicht linear lesen, sondern die Sprungmarken zu verwandten Themen als Einladung ins Unbekannte nutzen und sich mit ihrer Hilfe durch das Lexikon treiben lassen. Auch wenn die Anmutung des „Lexikon der Verschwörungstheorien“ eher einen spannenden Roman suggeriert, ist es doch ein Lexikon, dessen Verwendung konsultierend vonstattengeht.

Es lohnt sich auch ein Besuch bei Jimmy Novakin, der auf seinem Blog zwischen Religion, Geistern und Mysterie beispielsweise auch Verschwörungen mit Sarkasmus kombiniert und dabei unterhaltende Auszeiten bietet.

Lesebericht zu „In Andrews Kopf“ von E. L. Doctorow

In Andrews Kopf_E.L. Doctorow_Buch-und Medienblog_Oliver Steinhaeuser„Ich kann Ihnen von meinem Freund Andrew erzählen, dem Kognitionswissenschaftler. Es ist aber nicht schön.“
So startet E. L. Doctorow seinen letzten Roman „In Andrews Kopf“. Und er hat Recht. Es ist nicht schön, denn alles in Andrews Leben scheint normwidrigen Regeln zu folgen. Wir blicken in die Psyche eines Mannes, dessen Leben aus Unfällen, Verlusten und Trauer besteht. Ein Mensch, der in freudigen Momenten bereits vorahnen muss, dass die Glückseligkeit nicht ewig währt. Andrew erzählt seine Geschichte, offenbart sich seinem Therapeuten. Vertraut seinem Gegenüber seine innersten Gefühle an. Uns. Den Lesern. Seinen Therapeuten?

Nachdem sein erstes Kind durch einen nachlässigen Fehler starb, ging die Beziehung zu seiner ersten Frau Martha in die Brüche. Jahre später sucht er sie allerdings erneut auf. Denn nach dem Tod seiner zweiten Frau Briony, möchte Andrew seiner Exfrau sein zweites, mit Briony gezeugtes Kind überlassen.
Durch die Therapiesitzungen erfahren wir sukzessive, wie der Kognitionswissenschaftler Andrew seine Welt wahrnimmt, wie er seine Umgebung, seine Mitmenschen, den Geist und die Seele studiert, um sie zu verstehen. Um sie für ihn zugänglicher und verständlicher zu machen. In mehreren wirren Teilen erfährt der Leser des Reflexionsromans die Dramen des Protagonisten.
Freude und Hochgefühl berühren uns, wenn wir über die Beziehung zu seiner zweiten Frau Briony lesen. Eine Frau mit skurrilen und witzigen Wurzeln, die durch den Zusammenfall des World Trade Centers am 9. September 2001ein jähes Ende fand.
Schwermut überkommt uns, wenn wir durch abschweifende Gespräche mit seinem Therapeuten erfahren, dass Andrew auf der Suche nach dem Ursprung seiner Wesensart und seines Handelns ist. Nur, um mit Hilfe seiner Fähigkeiten in der Neurobiologie zu bestimmen, ob sein Schicksal bestimmten vererbbaren Verhaltensmustern entspricht, die möglicherweise zu relativieren sind.
E. L. Doctorow präsentiert einen Pechvogel par excellence, der letztendlich vor dem Versuch ein normales Leben zu erleben kapituliert und sich seiner Anomalien annimmt. Die Erkenntnis, dass Erinnerungen immer Teil seines Lebens sein werden, führt zur Entwicklung seines eigenen dunklen Humors, den er bis ins Bizarre anwachsen lässt.

„Im tiefsten Innern, im Grunde meiner Seele, falls es die gibt, bin ich letztendlich unberührt von dem, was ich getan habe. Ein leiser Hauch des Bedauerns über tote Babys, über tote Ehefrauen, über die Brände, die ich unabsichtlich legte, und solche Katastrophen können mich in meinen Träumen alle irgendwohin laufen lassen, wo ich kein Unheil anrichten kann, aber im wachen Leben lässt meine Schuld mich kalt.“

Für all diejenigen, die nach Erkenntnis und Sinn suchen, ist dieses Buch nur wenig geeignet.
All diejenigen, die auf ihrer temporären Realitätsflucht originelle Geschichten zu Rate ziehen möchten sei dieser Roman wärmstens empfohlen, denn die Wissenschaft ist wie ein sich stetig verbreiternder Scheinwerferstrahl, der immer mehr vom Universum erhellt. Doch während der Stahl breiter wird, nimmt auch die Dunkelheit an Umfang zu.

E. L. Doctorow
„In Andrews Kopf“
ISBN: 9783462048124