Rezension zu „Der Gott der Simpsons“ von Jeff Lenburg

der-gott-der-simpsons_buchblog_oliver-steinhaeuserGelb, frech und ungezogen. So kennen und definieren viele Fans die Simpsons, die Kultserie des Cartoonisten Matt Groening. Doch bevor die chaotische U.S.-Familie um Homer Simpson in die Fernsehgeschichte einging, mussten viele glückliche Zufälle eintreffen, wichtige Bekanntschaften geschlossen und Mitstreiter gefunden werden.

„Der Gott der Simpsons“ beschreibt autobiografisch den Bezug Matt Groenings zum Zeichnen und Texten, den er von seinem Vater in die Wiege gelegt bekommen hatte. Der junge Matt Groening fällt erstmals mit acht Jahren auf, als er an einem Schreibwettbewerb teilnimmt. Mit seiner abstrusen und verstörenden Geschichte fällt er auf und gewinnt den Wettbewerb. Bereits hier wird dem Leser der Charakter des Simpsons-Schöpfers deutlich: Ein Mensch abseits traditioneller Konventionen, der die Schule als einen repressiven Ort verachtet.

Erste Erfolge erringt Groening mit seinen „Life in Hell“-Strips im Wochenmagazin „Los Angeles Reader“. Sukzessive erfolgen weitere Publikationen der Strips in weiteren alternativen Wochenzeitungen und bieten ihm ein Forum zum Ausprobieren. Schon zu diesem Zeitpunkt dienen die bunten Bilder zur Verarbeitung seiner eigenen Gefühle, die er mit Hilfe der Bilder weniger schmerzvoll preisgeben kann.
Eines Tages schafft er den Sprung zum Fernsehen, denn seine „Life in Hell“-Comics sollen die „Ullman Show“ mit kurzen animierten Sketchen auflockern. Dazu soll er die Charaktere jedoch anpassen. In seinen Augen ein Unding. Kurzerhand schnappt er sich einen Stift und skizziert, was er als ungehobelte, hässliche und schlecht gekleidete Familie ansieht. Das ist die Geburtsstunde der Simpsons.

Jeff Lenburgs Biografie Matt Groenings erzählt dem Leser die epochal wichtigen Kreuzungen, Entscheidungen und Weichen Groenings auf seinem Weg zum Kultzeichner. Dabei legt Lenburg vor allem auf den Weg zum Erfolg viel Wert und setzt nicht erst beim Entstehen „Der Simpsons“ an. Das ermöglicht es, den Menschen hinter der genialen Idee zu verstehen, dessen Leben und Lebensstil sich mit einsetzendem Erfolg komplett wandelte.
Aus der Garage, die ihm einst als Cartoon-Werkstatt diente, ging es direkt in das eigene Büro. Inklusive Entscheidungsgewalt. Die Simpsons zeichnen Groenings unermüdliche Anpassungen jeder einzelnen Folge während ihrer Produktion aus. Nur so schaffte er eine Sitcom deren Humor und Sarkasmus sich auf verschiedene Ebenen miteinander verbinden. Ein Humor, der sich dem Alter des Konsumenten anzupassen scheint. Schaut man sich als Erwachsener die Folgen an, über die man sich in seiner eigenen Jugend erfreute, stellt man nun fest, dass sie noch viel mehr Botschaften enthalten und einen echten Tiefgang haben. „Alle mögen sie Slapstick, für die Pseudointellektuellen gibt es andere schöne Sachen, und die derben Späße gefallen wiederum meinen Kindern am besten“, sagt Groening selbst.

Jeff Lenburg
Der Gott der Simpsons
ISBN: 978-3-608-50227-5

Lesebericht zu “ In Shitgewittern“ von Jon Ronson

in-shitgewittern-jon-ronson-klett-cotta-blog-buch-oliver-steinhaeuserWie daneben müssen wir uns benehmen, welche Ungehörigkeit uns erlauben, um kollektiven Hass auf uns zu ziehen? Und welche Gründe sind es, dass manch einer wegen Kleinigkeiten regelrecht gelyncht wird, wohin gegen andere, deren Taten und Worte viel schwerer wiegen, ungeschoren und ungeachtet ihrer Wege gehen dürfen? Was vor einigen Jahren abgeschafft wurde erfährt eine Renaissance: Der Pranger. Mit erheblichen und verheerenden Ausmaßen: Die zeitliche Spanne der Demütigung. Während in der Vergangenheit Schläge und öffentlich zur Schau gestellte Herabwürdigung temporär vollzogen wurden, haben die Beweise im Internet auch lange nach einer Empörung noch Bestand.


Rufen Sie sich eines ihrer persönlichsten Eigenschaften vor Augen, eine Angewohnheit über deren Kenntnis nur Sie selbst verfügen. Erzählen Sie diese einer beliebigen Person mit der Bitte zur Veröffentlichung in sozialen Medien. Machen Sie nicht? Ist Ihnen peinlich? Zu privat?
Nun, so geht es wohl jedem von uns, da er sich vor einer Bloßstellung fürchtet.


Jon Ronson beginnt sein Sachbuch über die Möglichkeiten zur globalen Denunziation durch digital-soziale Medien. Anhand des Autors Jonah Lehrer, dem die Mehrfachverwendung eigener Zitate sowie die Erweiterung von Fremdzitaten durch seine Worte in seinen populärwissenschaftlichen Büchern zum Verhängnis wurde.
Ronson präsentiert dieses Beispiel sehr detailliert, und der Leser muss das über sich ergehen lassen. Nur so erfährt er mehr über die Entstehung und das kontinuierliche Hochkochen bis zum finalen Paukenschlag: Der Shitstorm, der sich brandschnell und netzartig ausbreitet. Immer tiefer tastet Ronson sich in die Demütigung im Internet vor und beschreibt dies an echten Fällen. Interessant dabei ist, dass die Fälle jeweils Aspekte aus „Täter-“ als auch „Opfersicht“ veranschaulichen. Er erzeugt ein Verständnis für den Shitstorm-Angriff gegen eine Person und reflektiert die Gedanken des Auslösers. Genau der denkt sich während des Veröffentlichens eines Postes in sozialen Medien in der Regel weniger, als spitzfindige Streithähne später darin hineininterpretieren. Doch genau so entsteht eine oft gefährliche Gruppendynamik, die, befördert durch die teilweise anonymisierte „Umgebung Internet“, in Massenhysterien auszuufern droht. Es entsteht Deindividuation, ein Phänomen, bei dem ein Individuum sich in einer Situation, in dem es sich in einer Gruppe befindet, weniger stark an gesellschaftliche Gepflogenheiten und Verhaltensmustern hält, als wenn es alleine in dieser Situation agieren würde. Hinzu kommt, dass der Fehltritt eines Einzelnen oft zur Projektionsfläche eines generellen gesellschaftlichen Problems/Kritik wird und sich der Unmut auf die Aussage/Fehltritt einer Einzelperson potenziert. Das Shitstorm-Opfer wird als Ventil eines generellen Problems missbraucht. Wird man sich darüber hinaus klar, dass die meisten der Menschen unserer Gesellschaft nicht als sonderbar bzw. angreifbar wahrgenommen werden möchten, schließen sich viele der öffentlichen Mehrheitsmeinung an. Dadurch fallen wir als Individuum nicht auf und entsprechen einer gewissen Norm. Um nicht angreifbar zu sein, reduzieren wir also unsere Individualität.

Ein unkritischer Post, Buch und Medienblog, Klett-Cotta, In Shitgewittern

Ein unkritischer Post von der diesjährigen Frankfurter Buchmesse 2016!

Kommen wir zur Anfangsfrage zurück: Warum sorgen manche Beiträge für Aufsehen während andere einfach untergehen?
Scham wird mitunter davon beeinflusst, ob das Demütigungsopfer sie zulässt. Wer sich ihrer annimmt wird von ihr verfolgt und hart getroffen. Wer sie an sich abprallen lässt, sorgt sich weniger. Soweit die Theorie. Allerdings kann Scham nicht ein- und ausgeschaltet werden. Auch wenn man es schafft, sie in der Öffentlichkeit zu verdrängen, bedeutet das nicht, dass sie uns im Unterbewusstsein erspart bleibt. Sie ist sogar in der Lage unser Handeln und Verhalten zu beeinflussen, ohne dass wir von ihrem offensichtlichen Einwirken Notiz nehmen.
In unserer Gesellschaft kommt niemand gänzlich an ihr vorbei. Deshalb müssen wir unser voreiliges Kommentieren in sozialen Medien reflektieren und uns über die Auswirkung von bloßstellenden Worten Gedanken machen. Denn manch unüberlegter Post kann auch durch eine persönliche Nachricht kritisiert werden und beim Ersteller zum Nachdenken anregen. Nachdenken führt, im Gegensatz zum offensiven Beleidigen, nicht selten zur Einsicht, zumindest aber zu einer sachlicheren Kontroverse. Angriffe in der Regel nur zu Gegenangriffen und Barrikaden.


Wie sozial sind unsere vermeintlich sozialen Netzwerke? Dieser Frage geht auch Heiner Wittmann auf „Stuttgart-Fotos“ nach:
„Ronsons Geschichte erklärt den Mechanismus, wie die schweigende Mehrheit, die unsichtbare selbsternannte kollektive Intelligenz eine Stimme beansprucht“, schreibt Wittmann zu Ronsons Werk auf dem Klett-Cotta-Blog.


Jon Ronson
In Shitgewittern – Wie wir uns das Leben zur Hölle machen
ISBN: 978-3-608-50235-0

Besprechung „Die Freihandeslüge“ von Thilo Bode

Die Freihandelslüge_Besprechung von Oliver SteinhäuserFluch oder Segen? Und für wen? Wo es Gewinner gibt, gibt es immer auch Verlierer. Doch es existiert ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen der Gewichtung und Ausgeglichenheit dieser divergierenden Parteien. Das transatlantische Freihandelsabkommen betrifft Investitionsgeschäfte gleichermaßen wie materielle und immaterielle Güter und Werte. Es gefährdet den Finanzsektor und stuft die Lebensstandards unserer umwelt-, ernährungs- und kulturbewussten Gesellschaft durch Standardisierungen herab.

Thilo Bode ist es in „Die Freihandelslüge“ sehr gut gelungen, auch thematisch unerfahrene Leser in die Debatte um das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA einzuführen. Er erklärt anschaulich, dass Handelsabkommen zwischen Staaten, durch die Einführung gemeinsamer Richtlinien und Normen, der Verminderung von Zöllen, Verringerung bürokratischer Vorgänge etc., Handelsbarrieren abbauen können. Bode bezieht sich dabei auf Verträge zwischen handelsstarken Staaten und Entwicklungsländern, in denen keine hochentwickelten Märkte bestehen.
TTIP ist dagegen ein Vertrag zwischen zwei Staaten, zwischen denen bereits ein florierender Handel besteht. Man fragt sich, aus welchen Gründen nun ein solches Abkommen geschlossen werden soll? Thilo Bode identifiziert das Handelsabkommen als Werkzeug zum Aushebeln der politischen Souveränität der europäischen Länder, denn TTIP ist ein völkerrechtlicher Vertrag und hat daher Vorrang vor allen europäischen und nationalstaatlichen Gesetzen. Konkrete Auswirkungen ergeben sich durch die abweichenden Standards zwischen der EU und den USA. Akzeptieren die USA die europäischen Standards nicht – und das werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, da deren niedrigere Standards geringere Markteintrittsbarrieren bedeuten, als die geltenden Normen der EU – geht die Gefahr einer Abstufung der in den EU-Ländern bestehenden Vereinbarungen und Normen aus. Anpassungen nach untern (in Richtung der US-Standards) wären die Folge. Das liegt daran, dass völkerrechtliche Verträge Schutz vor Diskriminierungen eines Vertragspartners juristisch sicherstellen. Im Falle von TTIP bedeutet dies konkret, dass die USA gegen die EU ein Druckmittel haben und sie – in Form einer Klage – dazu zwingen könnten, etablierten Normen auf den geringen US-Standard anzupassen.
Grundsätzliche Unterschiede zwischen den Vertragsstaaten bilden beispielsweise das „Vorsorgeprinzip“, das in Europa gilt und das „Nachsorgeprinzip“ in den USA. In Europa werden Produkte vor deren Markeinführung auf Unschädlichkeit und Funktion getestet, um Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen. In den USA hingegen, lässt man neue Produkte zunächst generell für einen Launch auf den Märkten zu, denn es gilt das Nachsorgeprinzip. Das führt dazu, dass schädliche Produkte erst durch die Nutzung von Kunden extrahiert werden. Der Schaden für Mensch, Tier und Umwelt ist dann jedoch für den konkreten Vorfall nicht mehr außer Kraft zu setzen.

Kernpunkte seiner Analyse in „Die Freihandelslüge“ bilden besonders die Themen Investitionsschutz sowie Tierschutz, Verbraucherschutz und Ernährung. Bode kommt in seinem Werk zu dem Schluss, dass das Aufweichen von Vereinbarungen und Normen nicht allein durch US-amerikanische Stellen befürwortet wird. Auch international handelnde europäische Chemie-, Automobil- und Agrarkonzerne wittern in dem transatlantischen Freihandelsabkommen ihre Chance auf steigende Umsätze. Es sind schließlich genau diese europäischen Großkonzerne, die an strenge Leitlinien gebunden sind, denen TTIP ein willkommenes Geschenk zur politischen Mitbestimmung bietet.

In dem von Thilo Bode erläuterten Spektrum an Auswirkungen für die Bereiche Umwelt, Tierschutz, Nahrung und Vorsorge, spannt er den Bogen leider nicht komplett. In letzter Konsequenz fehlt der Bezug auf die kulturelle Vielfalt in der EU. Unter anderem gibt es in Deutschland ein Gesetz zur Buchpreisbindung. Durch dieses Gesetz wird das „Kulturgut Buch“ besonders vor Ausbeutung und Dumpingpreisen auf dem Markt geschützt. Ein für 18 Monate festgelegter Preis gilt gleichermaßen für große als auch kleine Bestellmengen und führt dazu, dass ein Buch überall das gleiche kostet. Dies gewährt ein vielfältiges Buchangebot sowie eine flächendeckende Versorgung durch kleinere Buchhandlungen.
Bezogen auf TTIP, kann gerade dieses kulturschützende Gesetz Anlass zur Klage durch die USA werden, denn es stellt laut den vertraglichen Vereinbarungen eine Diskriminierung für US-amerikanische Märkte dar. Und im Zweifel werden Vorschriften nach unten reguliert.

„TTIP wäre ein weiterer verhängnisvoller Schritt Richtung jener ‚marktkonformen Demokratie’, in der sich alles den Freiheits- und Gestaltungsansprüchen globaler Konzerne unterordnen soll“, fasst Bode es in seinem Fazit treffend zusammen. Er hat mit „Die Freihandelslüge“ ein aufregendes Buch geschrieben, dass anhand einiger Beispiele anschaulich erklärt, welche Auswirkungen TTIP für jeden von uns bedeuten kann.

Thilo Bode
Die Freihandelslüge
ISBN: 978-3-421-04679-6