Lesebericht zu „Der Sohn“ von Jo Nesbø

Der Sohn-Jo Nesbo-Buchblog-Oliver SteinhäuserZu welchen Taten kann uns das Lüften eines Geheimnisses beflügeln? Was sind wir imstande zu tun, wenn wir erfahren, dass das eigene Leben auf einer Lüge aufbaut. Und warum lässt diese innere Zerrissenheit zu, dass wir Mord als eine Option der Rache sehen, und wir mit einem kaltblütigen Mörder sympathisieren?

Sonny, dessen Vater scheinbar ein korrupter Maulwurf bei der Polizei war, der sich durch Selbstmord seiner Verantwortung entzog, sitzt seit seinem 18. Lebensjahr im Gefängnis. Für Morde, die er nicht begangen hat. Seine Drogenabhängigkeit führt dazu, dass er auch weitere Delikte auf sich nimmt. Denn im Gegenzug erhält er, im Wissen der Gefängnisdirektion, Drogen. Als Sonny eines Tages erfährt, dass sein Vater weder korrupt war, noch Selbstmord begangen hat, will er Rache. Er bricht aus dem Gefängnis aus und begibt sich auf einen Rachefeldzug, bei dem er alle töten will, die mit dem Tod seines Vaters zu tun hatten und weitere unschuldige Menschen umgebracht haben.

Jo Nesbø kritisiert in seinem Thriller korrupte Verwicklungen der Politik und der organisierten Kriminalität mit bestechbaren Behörden des Vollzugs sowie den Drogen- und Menschenhandel.
Er beschränkt sich in der detaillierten Ausführung seiner zahlreichen Charaktere nicht nur auf die echten Protagonisten. Durch die Sorgfalt in der Beschreibung, erhält der Rezipient ein scharfes Bild aller beteiligten Personen. Dies führt dazu, dass es scheinbar keine Randdarsteller in „Der Sohn“ gibt, da man stets das Gefühl hat, jede einzelne Rolle vollständig zu kennen. Diesen Effekt erzeugt Nesbø durch die aufregende Betrachtung des „Sohnes“ Sonny, aus der Sicht der direkt beteiligten Menschen. Jede neue Persönlichkeit wird stets durch die Betrachtung Sonnys und seine Handlungen integriert und führt dazu, dass wir die Motive des Mannes besser verstehen. Diese Art der Betrachtung erlaubt es dem Leser weiterhin, die Person, die Sonnys Handeln sequenziell betrachtet, aus einer inneren Ansicht kennenzulernen. Eine Betrachtung durch den allwissenden Erzähler entfällt. Die Spannung steigt.
Als sich die Situation zuspitzt, nehmen die Alleingänge von Kommissar Simon Überhand. Er bemerkt Beweise, die kein anderer Polizist wahrnimmt, behält sie für sich und geht im Alleingang auf die Suche nach dem rachesüchtigen Sonny, dessen Mission die Eliminierung des wahren Maulwurfs ist. Simon findet Sonny, denn sie verbindet etwas: Er war der beste Freund seines verstorbenen Vaters Ab Lofthus. Simons Job wäre es, Sonny den Behörden auszuliefern, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Stattdessen hilft er dem jungen Mörder, seinen Rachefeldzug erfolgreich zu beenden, denn auch Simon verbirgt ein dunkles Geheimnis, dem er nicht mehr länger gegenüberstehen kann.

Zwischen all diesem knallharten Stoff, ist es Sonny Lofthus, dem der Rezipient eine sehr starke Sympathie entgegenbringt. Er leidet mit seiner auf Lügen gebauten Vergangenheit, trauert um seine verpassten Chancen und hofft insgeheim, dass der junge Mann sein Ziel erreicht und der Geschichte ohne Blessuren und wohlauf entfliehen kann. Der Umstand, dass er sich in seiner Naivität in die junge Martha verliebt, ist die Krönung der Geschichte, denn die Frau ist der rettende Treibstoff, als Sonnys Motor zu stottern beginnt.

„Der Sohn“ ist eine wahnsinnig mitreißende Geschichte, die durch die Themenauswahl, als auch die kraftvoll beschriebenen Charaktere, ihre Einmaligkeit entfaltet. Beobachtet der Leser Kommissar Simon aufmerksam, fällt ihm auf, dass seine Art der Betrachtung von Situationen, sich sehr prägend auf das gesamte Buch niederschlägt. Denn Simon wechselt stets den Blickwinkel während seiner Analyse eines Tatortes, sieht immer etwas mehr als andere. Genau wie der Leser dank der Betrachtung Sonnys durch andere, immer eine Nuance mehr über den jungen Mann weiß und somit ein sehr scharfes Bild seiner Umstände entsteht.

Jo Nesbø
Der Sohn
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13 9783550080449

Lesebericht zu „Die Lebenden und die Toten“ von Nele Neuhaus

Nele Neuhaus_Die Lebenden und die TotenNele Neuhaus thematisiert in „Die Lebenden und die Toten“ Machenschaften innerhalb der Organtransplantationsmedizin. Ein Mörder erschießt scheinbar wahllos unbescholtene Bürger. Während das Ermittlerduo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein zu Beginn des Buches noch völlig im Dunkeln tappen, zeichnet sich dem Leser sukzessive ein Bild aus Rache und Vergeltung. Der Mörder beschreitet dabei einen perfiden Weg, der aus der Ermordung von Angehörigen besteht. Durch dieses Vorgehen schaltet er seine Widersacher nicht einfach nur aus, sondern lässt ihnen den gleichen Schmerz zuteilwerden, den diese ihm und seiner Familie in der Vergangenheit zugefügt haben. Sie alle müssen sterben, weil die Handlung eines Angehörigen den Vergeltungsdrang des Täters geweckt hat.
Während die Ermittler den Mörder finden wollen, ermittelt die Tochter des in den Handlungsstrang verstrickten Arztes Dr. Prof. Rudolf auf eigene Faust. Doch im Gegensatz zu den polizeilichen Nachforschungen, geht es Karoline Albrecht nicht darum den Mörder zu finden, sondern die Wahrheit über ihren Vater, der offensichtlich durch den Tod seiner Ehefrau für illegale Organtransplantationen bestraft werden soll. Zu Beginn ihrer eigenen Recherche stellte der Charakter der Karoline Albrecht für mich zunächst einen störenden Faktor dar. Dies änderte sich jedoch, als sie durch das Aufspüren der Freundin einer zentralen Person des Buches, an bahnbrechende Informationen gelangt, die es der Polizei erstmals erlaubt das Geschehen wirklich zu durchdringen.

Auf dem Weg zur Ermittlung des Täters, begegnet der Rezipient sehr vielen Charakteren aus Familie, Umfeld, Zeugen sowie Nebenrollen. Jeder könnte der Mörder gewesen sein. Wer hat etwas zu vertuschen? Wer hat eine alte Schuld offen? Wer fühlt sich verletzt und hätte dadurch ein eindeutiges Motiv? Wer ist in diesem Transplantations-Skandal eigentlich Opfer und wer Täter? Und die allerspannendste Frage: Wer darf sich „Der Richter“ nennen?

Obwohl die „Lebenden und die Toten“ ein Kriminalroman ist, arbeitet Nele Neuhaus unverblümt die Skandale der Transplantationschirurgie auf und vermittelt ein erschreckendes Bild davon, wenn Gier, Ruhm und Narzissmus Antrieb lebensrettender Mediziner sind.
Des Öfteren schlug mir in den Meinungen zu dem Titel eine eindeutige Kritik bezüglich des angesprochenen Themas entgegen. Ist „Die Lebenden und die Toten“ möglicherweise eine Entmutigung potentieller Organspender? Meine Meinung dazu ergibt sich aus einem Vergleich anderer Lebenssituationen und Umständen:
Fakt ist, dass es in allen Bereichen des Lebens Menschen gibt, die anderen helfen wollen. Und an Stellen, an denen geholfen wird, wird auch ausgebeutet. Egal ob dies Textilspenden, Hilfsgüter oder eben Organspenden betrifft. Falsche und heuchlerische Intentionen sind nun einmal vielerorts präsent, doch sollte man sich nicht von solchen Ausnahmen entmutigen lassen, selbst zu helfen!

Nele Neuhaus
Die Lebenden und die Toten
Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13 9783550080548

„Tiefe Wunden“ von Nele Neuhaus – Free-TV-Premiere

Tiefe Wunden_Nele NeuhausMit „Tiefe Wunden“ wird morgen, den 2. Februar 2015 um 20:15 Uhr, die dritte Filmadaption der Taunus-Krimis von Nele Neuhaus im ZDF ausgestrahlt. Mit „Die Lebenden und die Toten“ ist ist Nele Neuhaus derzeit mit ihrem siebten Band der Taunus-Krimi-Reihe in den Bestsellerlsiten vertreten. Der Titel um die Ermittler Bodenstein & Kirchhoff wird vom Ullstein Verlag publiziert.

Vier der Werke wurden für das ZDF verfilmt, zuletzt der 2009 veröffentlichte Kriminalroman „Tiefe Wunden“, den der Fernsehsender morgen Abend in seiner Free-TV-Premiere zeigt.

Zum Inhalt:
Der 92-jährige Holocaust- Überlebende David Josua Goldberg wird in seinem Haus im Taunus mit einem Genickschuss getötet. Bei der Obduktion macht der Arzt eine seltsame Entdeckung: Goldbergs Arm trägt die Reste einer Blutgruppentätowierung, wie sie bei Angehörigen der SS üblich war. Dann geschehen zwei weitere Morde, die Hinrichtungen gleichen. Welches Geheimnis verband die Opfer miteinander? Die Ermittlungen führen Hauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine Kollegin Pia Kirchhoff weit in die Vergangenheit: nach Ostpreußen im Januar 1945 …