Lesebericht zu „Der Nibelungen Untergang“ von Heinrich Steinfest

Oliver Steinhäuser, Nibelungen Untergang, Siegfried der Drachentöter, Kriemhild, NibelungenschatzReclam? Das ist doch der Verlag mit den kleinen gelben Büchern und den dazugehörigen Erläuterungen, die jeder schmerzlich aus dem Deutschunterricht kennt? Dabei entstehen im Verlag wunderbare Bücher, deren Gestaltung bei genauerer Betrachtung wahrlich kunstvoll ist.

„Der Nibelungen Untergang“ ist eines dieser Werke. Grobe Zeichnungen von Robert de Rijn – über die Doppelseiten des Buches gestaltet –untermauern die Geschichte der Nibelungen auf eindrucksvolle Weise. Die expressive Strichführung der Zeichnungen lenkt den Blick des Rezipienten auf die Kernaussage jeder gestalteten Doppelseite und unterstreicht eindrucksvoll den rauen und rücksichtslosen Umgang in Zeiten, in denen Muskelkraft und Brutalität über den Ausgang eines Konfliktes entschieden haben.

Heinrich Steinfest – bekannt für seine Kriminalromane – erzählt in „Der Nibelungen Untergang“ das Nibelungenlied nach. Dabei bezieht er immer wieder Stellung, beschreibt seine Zweifel an der überlieferten Geschichte, belegt jedoch auch Dinge, die sich in der Art und Weise, in der sie erzählt wurden zugetragen haben können.
Durch das Einbeziehen heutiger Kommunikationstechnik und Persönlichkeiten aus der Gegenwart entsteht anfangs eine merkwürdige Mischung aus Sage und Komödie. „Und jeder kann sehen, wie Kriemhild ihrerseits verzaubert ist […]. Sie ist schließlich kein Backfisch oder so.“ (S.20) Es ist anfangs sehr gewöhnungsbedürftig ein Heldenepos mit solch grotesken Vergleichen und Kommentaren serviert zu bekommen. Wenn Steinfest sich über surreale Konstellationen von Kriegsheeren mokiert und damit die Helden der Sage bloßstellt, verlangt dies vom Leser eine gewisse Toleranz. Er erzählt die Geschichte zügig und in einem unverblümten Alltagston, der gelegentlich ins vulgäre abrutscht.
Doch es lohnt sich, das Buch weiterzulesen, über die anfängliche Verwirrtheit hinwegzusehen und das Werk als eine Übertragung der Sage auf unsere moderne Welt zu verstehen. Dabei spielen die uns bekannten Persönlichkeiten wie beispielweise Michael Jackson und Elvis Presley – die Steinfest explizit nennt um Siegfried zu veranschaulichen – eine genauso große Rolle wie der FC Bayern München, der ebenso Gegenstand seines Vergleiches wird.

Das negative Echo, das dieses Buch hervorgerufen hat, kann ich nicht bestätigen, denn es bereitete mir eine Freude dieses Buch zu lesen und die Zeichnungen, die einer Graphic Novel gleichen, anzusehen. „Der Nibelungen Untergang“ ist eines der wenigen Bücher, das in der U-Bahn neugierige Blicke auf sich gezogen hat und für Gesprächsstoff sorgte.
Auch derjenige, der sich nicht für Sagen interessiert, hat schon von Siegfried dem Drachentöter und dem im Rhein versenkten Nibelungenschatz gehört. Aus genau diesen vagen Skizzen zeichnet Heinrich Steinfest ein Gesamtbild und setzt dies verständlich um, selbst auf die Gefahr hin, einige Exkurse aus der Sprachfertigkeit der Nibelungen heraus, in unsere Gegenwart zu machen. Wenn der Leser weiß, worauf er sich einlässt und weder Probleme mit manch abstrusen Gedankengängen des Autors hat oder an der Kombination aus alter und moderner Sprache Gefallen findet, dann sei ihm dieses Buch wärmstens empfohlen.

Es ist und bleibt die faszinierende Geschichte der Nibelungen, die mit Siegfried einen Helden haben, der scheinbar über allem steht. Es ist die alte Geschichte von Macht, Anerkennung, Ruhm, Verlust und Gier, die seit jeher die Menschheit bestimmt. Erzählt in einem anachronistischen Gewand mit erfrischend modernen Pointen und Kommentaren.
„Der Nibelungen Untergang“ ist nach langer Zeit endlich wieder ein Buch, das ich nicht einfach weglege und abschließe. Hier entsteht Diskussionsbedarf über den Verlauf der Geschichte, darüber wer mit wem in Verbindung steht und warum manch ein König seinen über allen Zweifel hinweg loyalen Freund verrät und damit dessen Tod mitverschuldet. Und vor allem: Wo genau mag wohl der Schatz der Nibelungen liegen? Und woraus besteht der Schatz? Gold und materieller Reichtum, oder ist er möglicherweise nur Sinnbild für Wissen und Reichtum durch Erkenntnis?

Heinrich Steinfest                                      Hier geht es zur Leseprobe
Der Nibelungen Untergang
Geb. mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-15-010949-6

Ein Gedanke zu „Lesebericht zu „Der Nibelungen Untergang“ von Heinrich Steinfest

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